Montagsinterview Schrotthändler Helmut Juschkat: "Ein altes Auto ist Schrott ohne Qualität"

Eigentlich müsste Helmut Juschkat glücklich sein: Die Abwrackprämie der Bundesregierung führt dazu, dass die Kunden bei dem Schrotthändler Schlange stehen. Doch der Boom bringe finanziell kaum etwas ein, sagt der 59-Jährige.

Der Schrotthändler Helmut Juschkat Bild: Wolfgang Borrs

taz: Herr Juschkat, seit einigen Wochen subventioniert die Bundesregierung die Verschrottung von Gebrauchtwagen mit einer Abwrackprämie von 2.500 Euro. Freut Sie das?

Helmut Juschkat: Nö.

Was? Sie sind doch Autoverwerter.

Ja, aber die Arbeit nimmt überhand, und es kommt nichts bei rüber. Da ist dieser immense Papierkram und nun noch diese Zusatzbelastung mit den Formularen für die Bafa [Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Anm. d. Red.]. Wir haben mit einem Sturm gerechnet. Aber es ist ein Tsunami geworden.

Was ist seit Inkrafttreten der Abwrackprämie bei Ihnen los?

Früher hatten wir pro Woche etwa 50 Stück in der Abwrackpresse. Jetzt sind es wahrscheinlich 200, 250 Autos.

Helmut Juschkat ist einer der zwei Geschäftsinhaber der Autopresse Tempelhof in der Gottlieb-Dunkel-Straße. Die Ursprünge der Firma liegen am Britzer Sieversufer, wo Juschkats Eltern früher ein Gartengrundstück hatten. So wuchs er mit der benachbarten Schrotthändlerfamilie auf; nach einer Zimmermannslehre begann er, im Schrotthandel zu arbeiten. Seit Oktober 2004 sind der heute 59-Jährige und sein Kompagnon Andreas Schmidtke die Inhaber der Firma.

Das zertifizierte Unternehmen mit zwölf Mitarbeitern zählt zu den führenden Autorecycling-Unternehmen im Berliner Raum und wirbt mit dem Slogan "Findste dein Auto doof, dann brings zur Autopresse Tempelhof". Der gebürtige Berliner ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Sein Sohn arbeitet, wie auch der Sohn seines Geschäftspartners, mit in der Firma.

Immer wieder dient das Betriebsgelände an der Stadtautobahn als Filmkulisse, etwa in "Drei Damen vom Grill", "Wolffs Revier", einem Werbespot für den Volkswagen "Fox" oder der Telenovela "Verliebt in Berlin". Gegen eine kleine Spende kann dort jeder mit dem Vorschlaghammer auf Schrottautos einschlagen.

Da muss doch der Rubel rollen?!

Die Fahrzeuge müssen ja alle verarbeitet werden. Das Schlimme an der ganzen Sache ist: Man hat viel Arbeit, aber kriegt kein Geld für den übrig bleibenden Schrott nachher.

Steht deshalb bei Ihnen am Eingang das Schild, dass Sie "aufgrund des großen Verwaltungsaufwands im Zusammenhang mit der Verschrottung von Altfahrzeugen und der allgemeinen Marktsituation leider ab sofort die Preise anheben müssen" und für eine Verschrottung 100 Euro verlangen?

Ja, das ist seit gut fünf Wochen so. Früher war das mal umsonst. Aber alle verlangen doch Geld! Eine Autoüberführung bei einem Neuwagen kostet 800, 900 Euro, eine Abmeldung 50 oder 60 Euro, eine Anmeldung 150 bis 200 Euro. Und wir kriegen jetzt den Müll geliefert und sollen sehen, wie wir damit zurechtkommen.

Wie rechtfertigen Sie denn die 100 Euro für die Verschrottung?

Die Verschrottung kostet ja Geld. Wir müssen auch gucken, ob da noch explosive Sachen in den Autos drin sind. Manch einer lässt mal eine kleine Bombe oder Handgranate drin liegen.

Bitte?

Haben wir alles schon gehabt, nach der Wende, als überall in den Wäldern Übungsmunition von den Russen rumlag. Die Fahrzeuge müssen ja kontrolliert werden. Dann kommen sie auf die Trockenlegungsstraße, sämtliche Flüssigkeiten müssen entnommen und kostenpflichtig entsorgt werden: Bremsflüssigkeit, Stoßdämpferflüssigkeit, Bremsöle, Motoröle, Getriebeöle, Hinterachsöle, Kühlwasserflüssigkeiten. Dann wird ein Großteil der Scheiben rausgenommen. Auch die müssen kostenpflichtig entsorgt werden.

Wie gehts dann weiter?

Die Autos werden zu Paketen gepresst, die Autopresse drückt mit 300 Tonnen drauf, die Pakete gehen in einen Container und kommen zu einer Schredderanlage nach Brandenburg. Dort werden die Dinger kleingemahlen, wie in einer Kaffeemühle. Plastikanhaftungen, Gummisachen werden dann per Hand aussortiert, per Magnet werden die Metalle rausgezogen - und das wars mit dem Autoleben. Zu den Entsorgungskosten kommen noch Spritkosten, Miete, Steuern, Versicherung hinzu. Wir werden den Schrott zwar noch los, aber für ganz, ganz kleines Geld.

Für wie viel denn?

Zwischen 10 und 15 Euro die Tonne. Damit kann man keinen Betrieb mit fast 15 Leuten leiten. Ich bin seit 40 Jahren im Geschäft, und meine Prognose war: China macht die Olympiade, und dann bricht alles zusammen. Das ist dann auch passiert. Seit August, September vergangenen Jahres ist der Stahlpreis um 300 Prozent gesunken; dann ging es los mit der ganzen Wirtschaftskrise. Es klaut ja auch kaum noch einer Gullydeckel oder Kupferkabel bei der Bahn. Ein Auto wird zwar als Schrott bezeichnet, aber es ist immer ein Schrottnebenprodukt.

Was ist der Unterschied?

Schrott ist eigentlich das, was der Palast der Republik hatte oder der Sendemast, der kürzlich in Frohnau umgelegt wurde, mit 900 Tonnen. Das ist Schrott, der Qualität hat und noch ein bisschen Geld bringt. Aber auch nicht mehr so viel wie noch im vorigen Januar. Autoschrott ist minderwertig. Man nimmt den als Beimischung in den Stahlwerken und versucht, was Gutes daraus zu bauen.

Aber Sie haben jetzt jede Menge Ersatzteile zum Verkaufen.

Ja, aber der Markt mit den Ersatzteilen wird übersättigt. Wenn man vorher zwei, drei Golfs hatte und jetzt das Zehnfache davon, sind wir nur noch dabei, die Fahrzeuge, so wie sie kommen, trockenzulegen, zu entsorgen und - ruck, zuck! - zu verarbeiten. Ich könnte mir gar kein Lager mit 100, 200 Scheinwerfern hinstellen. Was soll das? Man braucht die nie mehr.

Deshalb also gefällt Ihnen die Abwrackprämie nicht?

In der Politik ist es ja so, dass viele Leute mehr kopfgesteuert als praktisch sind. Das mit den Baujahren zum Beispiel finden wir sehr kurz gehalten: Baujahr 1995 und davor zu verschrotten wäre besser als Autos, die gerade mal neun Jahre alt sind. Die Baujahre 1996, 1997, 1998 haben ja schon Katalysatoren und die grüne Plakette. Die Abwrackprämie ist kontraproduktiv.

Wieso?

Wenn man sich mal zusammenrechnet, was da bei 600.000 Autos an Steuergeldern zusammenkommt: Mehrwertsteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, Einkommensteuer. Und automatisch werden dann 600.000 Versicherungsverträge neu abgeschlossen. Ich sehe es letztendlich so, dass Frau Merkel ein Geschäft mit der Prämie macht.

Also ist sie in Ihren Augen auch kein probates Mittel gegen die Wirtschaftskrise?

Der Autoverkauf wird angekurbelt, aber nicht die Industrie.

Nach wenigen Wochen wurde die Abwrackprämie nachgebessert, weil viele Autobesitzer die Prämie kassierten und ihre alten Wagen verscherbelten. Hatten Sie solche Kunden?

Ja, wir hatten viele Kunden, die ihr Auto gebracht haben, die Papiere wollten - und das Auto am nächsten Tag wieder abholen und dann nach Polen bringen wollten. Andere meinten, sie müssten ihr Fahrzeug wie eine Weihnachtsgans ausschlachten und die Ersatzteile über Ebay verkaufen, um das große Geld zu machen. Aber die sind gar nicht in der Lage nachzuweisen, wo sie das alte Öl gelassen haben. Wer das Auto ausschlachten und dann noch die 2.500 Euro will, bekommt natürlich keinen Verwertungsnachweis.

Was glauben Sie: Wann wird sich der "Tsunami" bei Ihnen gelegt haben?

Es wird bald wieder ruhiger werden. Die Fahrzeuge, die auf Lager waren, die Läufer, sind alle weg. Jetzt muss neu produziert werden, und die Leute warten mit dem Verschrotten ihrer alten Autos.

Wie kamen Sie zur Autoverschrottung?

Meine Eltern hatten am Sieversufer in Britz ein Laubengrundstück, direkt neben einem Riesenschrottplatz, und wir kannten die ganze Familie. Als Kind gehörte ich zu der Schrottfamilie dazu. Als ich Schuljunge war, hat mir der Schrottplatz imponiert! Ich bin da reingewachsen und später hängen geblieben. Der Betrieb existiert schon mehr als 70 Jahre. Aber ich wollte erst einen Beruf lernen und bin Zimmermann geworden, habe mein eigenes Haus gebaut und konnte anderen beim Hausbau helfen. 1969 ist der Betrieb nach Tempelhof gezogen. 35 Jahre lang war ich angestellt; im Oktober 2004 haben meine Wenigkeit und mein Partner Herr Schmidtke den Betrieb übernommen.

Also sind Sie zufällig da reingerutscht?

Ja. Mein Traumberuf wäre Feuerwehrmann gewesen. Aber damals ging das als Brillenträger nicht.

Was hätte Ihnen am Feuerwehrberuf gefallen?

Anderen Menschen helfen zu können. Aber jetzt sind wir hier fast eine Nebenstelle für die Feuerwehr. Ich habe das ein bisschen umgemünzt.

Wie das?

Die Freiwilligen Feuerwehren müssen ja Übungen machen: Menschen retten aus Autowracks und so weiter. Das können die hier nach Feierabend umsonst machen und sind damit ganz glücklich. Weil die Behörden kein Geld mehr haben, werden auch die Wachen der Berufsfeuerwehr zur Dienstzeit zum Üben hergeschickt. Vor zwei Jahren habe ich eine Feuerwehrmedaille bekommen, weil wir die seit 25 Jahren unterstützen. Das war eine Anerkennung, über die ich mich gefreut habe.

Bei Ihnen auf dem Schrottplatz gibt es eine besondere Art, Frust abzubauen: "Hau das Auto" nennt sich das.

Ja, vom Frühjahr bis in den Herbst hinein stellen wir Autos hin, die so präpariert sind, dass kein Unfall passieren kann. Jeder kann dann, um Dampf abzulassen, mit dem Vorschlaghammer draufhauen, gegen eine Spende von 5 Euro für gemeinnützige Zwecke.

Was machen Sie mit dem Geld?

Wir haben schon für ein Projekt der Obdachlosenärztin Jenny De La Torre gespendet für eine Weihnachtsfeier in einem Altenheim, für Kinder von Feuerwehrleuten vom World Trade Center. Auch das Feuerwehrmuseum hat eine Spende bekommen.

Wer lässt seinen Frust mit dem Vorschlaghammer an Schrottkarossen aus?

Na, da sind zum Beispiel Mädels, die eine Geburtstagsfeier haben, oder Männer kurz vor der Heirat. Wir hatten mal einen Bäcker hier, der drei Wochen lang auf ein Auto eingekloppt hat. Der kam morgens um acht frustig aus seiner Backstube an, und statt ins Fitnessstudio zu gehen, hat er hier rumgekloppt.

Was machen Sie, wenn Sie Dampf ablassen wollen?

Ich versuche, mich immer zu zügeln. Ich bin irgendwie gelassen.

Gibt es nichts, was Sie aufregt?

Wenn man Kunden etwas erklärt mit Formularen und Ämtern und die das nicht kapieren und die nächsten Kunden schon anfangen zu trampeln.

Wie viele eigene Autos haben Sie selbst hier auf dem Platz verschrottet?

Unseren alten Käfer, mein erstes Auto. Den hatte ich auf dem Schrott gekauft, wieder aufgebaut, und dann ist er hier auf den Schrott gekommen. Andere Autos habe ich weiter verkauft.

Was schätzen Sie: Wie viele Autos haben Sie in Ihrem Leben schon verschrottet?

Zu Mauerzeiten waren es richtig viele, da gab es nur zwei große Firmen in Berlin: wir und eine in Spandau. In den 70er-, 80er-Jahren haben wir im Jahr so zehntausend Autos verschrottet.

Was haben Sie eigentlich für ein Verhältnis zu Autos?

Ich sehe das als Gebrauchsgegenstand. Wenn da eine Fliege draufsitzt oder jemand eine Schramme reinfährt, stört mich das nicht. Ich habe ja auch viel Leid gesehen, weil wir auch viele Unfallfahrzeuge bekommen.

Fällt Ihren Kunden der Abschied von ihrem alten Wagen schwer?

Wir hatten schon Frauen hier, die geheult haben, wenn ihr Auto verschrottet wurde. Andere haben einen Brief reingelegt, der mit verschrottet werden sollte, oder Blumen.

Und Männer?

Manche wollen das Lenkrad behalten.

Können Sie das nachvollziehen?

Ich denke mir da meinen Teil.

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