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Mittelalterliches High-Tech im Bremer Untergrund

■ Auf der Baustelle für die Passage der Deutschen Bank stoßen die Archäologen auf ein 800 Jahre altes Gewerbegebiet.

„Ein erster Hinweis auf mittelalterliche Serienproduktion,“ sagt der Bremer Landesarchäologe Manfred Rech und deutet stolz auf eine kleine Kalksteinform. Die Aussparung im Stein zeigt eine Blume, die vor 800 Jahren als Ohrring getragen wurde. Mehrere solcher Formen wurden mit einem Draht zusammengebunden, um das Ausgießen beschleunigen zu können. Rech ist überzeugt, daß er auf der Baustelle zwischen Domshof und Katharinenstraße auf Bremens mittelalterliches Technologiezentrum gestoßen ist. Einer der spannendsten Funde der letzten Jahre, meint er: „Bremen war viel stärker als bisher angenommen Gewerbestadt, und lebte nicht vom Bierexport allein.“

Seine Sicherheit nimmt er von den mittelalterlichen Müllhalden, die die Bagger auf der Baustelle der neuen Banken-Passage zwischen Deutscher Bank und Sögestraße ausgebuddelt haben. Seit Dezember wühlen sich zwei ABM-finanzierte Grabungstechniker in einer Ecke der Baustelle durch den 800 Jahre alten Kehricht. Hier fanden sie die filigrane Gußform, aber auch jede Menge derbes Handwerkszeug. „Jede Grube ist für uns ein Überraschungsei,“ meint der Grabungstechniker Carl Christian von Fick, der eigentlich seit Anfang des Jahres in Rente ist, aber ehrenamtlich weiterbuddelt.

Halbfertigprodukte zeigen, daß Bremen in seiner ersten Hochblüte zahlreiche Handwerkszweige beherbergte, von denen man bisher nichts wußte. In den Straßen rund um die Liebfrauenkirche hockten Kamm-, Würfel- und Rosenkranzmacher dicht an dicht. Glas wurde ebenso bearbeitet wie Bronze und Keramik. Endlich ist auch die Frage geklärt, wie Bremens Dächer im Mittelalter gedeckt waren: „Mit Ziegeln, ähnlich wie sie heute noch in Italien verwendet werden,“ berichtet Rech. Der eine halbrunde Ziegel liegt mit der Wölbung nach unten, das Gegenstück umgedreht obendrauf. „Im Mittelalter hießen diese Ziegel Mönch und Nonne.“

Außerdem konnte die Frage der Abwasserentsorgung der mittelalterlichen Stadt geklärt werden. Eine Sandsteinrinne längs der Katharinenstraße sorgte für den nötigen Abfluß in die Weser. „Die Ent-sorgung spielte schon im Mittelalter eine große Rolle,“ betont Rech, „es gab eigene Zünfte, die als ,Goldgräber' bespöttelt wurden.“ Als „Goldgräber“ fühlen sich die Grabungstechniker manchmal auch heute. „Ein komisches Gefühl,“ beschleicht von Fick manchmal schon, wenn er sich überlegt, „daß er in Jahrhunderte alten Fäkaliengruben wühlt.“

Ende März müssen die Grabungen den Baggern weichen. Möglichst viel von dem mittelalterlichen Unrat soll bis dahin noch geborgen werden. Die interessantesten Stücke werden in zwei Jahren in der neuen wirtschaftsgeschichtlichen Sammlung des Focke-Museums zu sehen sein. Dort soll dann auch das Lackprofil ausgestellt werden, das von Fick von einer Grube genommen hat. Die Erde wird mit Lack übergossen, bleibt haften und kann später als „wildwüchsige Landschaft“ Auskunft über die Grabungsstelle geben, meint von Fick. Ein kleiner Mosaikstein, der von Bremens ersten Wohlstandsjahren im Mittelalter zeugt. Rech und seine Kollegen hoffen, daß sie durch ihre Arbeit das Interesse der Bremer am Mittelalter wecken können. Nebenbei eine Image-fördernde Maßnahme: Noch eilt ihnen bei manchen der Ruf voraus, eine „Wirtschaftsverhinderungsbehörde“ zu sein, wenn sie mit ihren Spaten und Kellen anrücken, um wieder ein Stück Geschichte freizulegen. vos

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