: Mit dem neuen Album „Speculation“ haben To Rococo Rot den Regelkreis zum Krautrock vollends geschlossen
Das Hübsche bei To Rococo Rot ist bereits im Namen der Band notiert, der nämlich ein Palindrom ist und deswegen von vorn und von hinten gelesen werden kann, und zwar immer gleich. Was auch den Arbeitsansatz des Berliner Trios um Stefan Schneider und die Brüder Robert und Ronald Lippok (Letzterer auch bei Tarwater und jetzt noch bei Dakota Days dabei) umschreibt. Wahrscheinlich könnte man deren Tracks sogar rückwärts ganz prächtig hören, und auf jeden Fall ist es so, dass man es beim Durchhören der einzelnen Titel gar nicht merken würde, wenn sie von hinten weg im großen Bogen nach vorn wieder reinfahren, bis es endlos weitergeht mit dem rhythmisch organisierten Pochen und dem schön geordneten Klimpern und Klöppeln samt den darin hineingehängten und beständig wiederholten Melodiepartikeln.
Das ist alles so wohl abgewogen und mit Bedacht proportioniert, dass man das gerne hört auf „Speculation“, dem mittlerweile neunten Album von To Rococo Rot. Es funktioniert im Hintergrund, während man etwa in der Küche den Abwasch erledigt, und verliert auch nichts beim der Musik zugewandten Hören.
Der Verweis auf die prinzipielle Nähe von To Rococo Rot zu den früheren Krautrockexperimenten fehlt ja in kaum einem Artikel über das Trio (also auch hier nicht), und mit „Speculation“ hat man so einen weiteren Update einer Musik, die unter Missachtung der alten Strophe-Refrain-Logik bereits diese musikalischen Abfahrten entdeckte, zu denen man halt damals, in den Siebzigern, noch nicht Track gesagt hat. Bei To Rococo Rot funktionieren diese Tracks, obwohl ganz dicht mit einer Menge an Einzelteilen organisiert, doch nach einem Punkt-Punkt-Komma-Strich-Prinzip. Und fertig ist das musikalische Angesicht, das einen manchmal sogar poppig anlacht und seinen unmittelbaren Charme aus dieser scheinbaren Schlichtheit und Lockerheit im Vortrag bezieht.
Eine durchweg angenehme Atmosphäre herrscht auf „Speculation“, in die sich zum Schluss beim letztenTitel noch etwas spooky Jochen Irmler mit seiner selbstgebauten Orgel mischt. Womit dann der Krautrockgenerationenvertrag auch wirklich in persona geschlossen wurde, mit den nachgeborenen Musikern von To Rococo Rot und eben Irmler, mit Faust ein Krautrocker der ersten und besten Stunde, in dessen Studio in Scheer in der baden-württembergischen Provinz das Album auch aufgenommen wurde. Der gewissenhafte To-Rococo-Rot-Fan mag dabei möglicherweise sogar die feinen Unterschiede zu den früheren Alben der Band heraustüfteln. Weniger trainierte Ohren aber würden es bestimmt nicht merken, wenn man versuchsweise einmal einen Titel von „Speculation“ etwa mit einem von dem 1999 erschienenen Album „The Amateur View“ tauschen würde. Da vor zehn Jahren wie heute dort: To Rococo Rot. Ein Palindrom. Wer will schon sagen, wo da genau Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist.
Am Samstag präsentieren To Rococo Rot ihr neues Album im Festsaal Kreuzberg. Jochen Irmler wird sie an seiner Orgel dabei unterstützen. THOMAS MAUCH
■ To Rococo Rot: „Speculation“ (Domino/ Indigo) Live Sa. Festsaal Kreuzberg, 22 Uhr. 15 €