■ Mit Prognosen auf du und du: Blinde Talfahrt
Berlin (taz) – Während die Bonner Regierungspolitiker den BürgerInnen verkünden, daß die Rezession jetzt ihren tiefsten Punkt erreicht hat und es folglich bald aufwärts geht, sind die WirtschaftsforscherInnen etwas vorsichtiger. Aber auch sie sind sich nicht einig. Das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut (HWWA) prognostizierte gestern einen „verhaltenen Aufschwung“ im kommenden Jahr, nachdem das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in der vergangenen Woche ein weiteres Absacken der Konjunktur angekündigt hatte. Vieles spricht dafür, daß Pessimismus angebracht ist, denn die letzten Prognosen haben sich allesamt als zu positiv erwiesen.
Im Frühjahr 1990 befand sich die Konjunktur noch im Aufwind. Damals prophezeiten die ExpertInnen der fünf führenden Wirtschaftsforschunginstitute, zu denen neben dem DIW auch das Hamburger HWWA, das Kieler Institut für Weltwirtschaft, das Münchner Ifo-Institut und das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung zählen, ein vierprozentiges Wachstum für 1990. Nachdem aber die Bonner Regierung alle Warnungen über eine schnelle Währungsunion und einen Umtauschkurs von eins zu eins in den Wind geschlagen hatten, fiel schon das Herbstgutachten weitaus pessimistischer aus, obgleich das Bruttosozialprodukt mit 4,6 Prozent im alten Bundesgebiet sogar höher lag als vorhergesagt. „Bis weit in das Jahr 1991“ werde sich die Talfahrt der ostdeutschen Wirtschaft fortsetzen, meinten die WissenschaftlerInnen – aus heutiger Sicht noch ausgesprochen optimistisch. Das DIW glaubte, der Zusammenbruch der Produktion in den neuen Ländern käme Mitte 1991 zum Stillstand und münde anschließend in einen neuen Aufschwung. Durchschnittlich werde das Bruttosozialprodukt in Westdeutschland lediglich um drei Prozent wachsen – ein Wert, den der damalige Wirtschaftsminister Haussmann als Schwarzmalerei brandmarkte, der sich aber als nahezu richtig erwies. Im Gegensatz zu den Vorhersagen war die Talsohle Mitte 1991 jedoch keineswegs erreicht, und das BSP sackte auf ein mageres Wachstum von 0,6 Prozent im letzten Quartal ab.
Sowohl im Frühjahrs- als auch im Herbstgutachten 1991 sagten die ExpertInnen erneut das nahe Ende der Wirtschaftsflaute voraus: 1992 werde die westdeutsche Konjunktur „wieder deutlicher aufwärts gerichtet sein“. Und auch im April letzten Jahres wurde im Fall von „maßvollen Lohnabschlüssen“ die rasche Überwindung der Flaute vorhergesagt. Die Lohnabschlüsse waren maßvoll, aber das Bruttosozialprodukt erreichte im Jahresdurchschnitt nur noch schlappe 0,9 Prozent – wobei in den letzten beiden Quartalen die Zahlen ins Negative umschlugen. Da merkten es auch die Prognostiker. Aber im HWWA ist man heute wieder „verhalten optimistisch“. aje
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen