: Melonen und Mützen
Geschichten aus der Produktion (1): Bei „Kleemann-Hüte“ in der Schönhauser Allee wird Qualität verkauft und produziert – und zwar jenseits von Sportswear und Spießerschick. Ein Werkstattbericht
VON JAN KEDVES
Ein Geschäft wie dieses betritt man nicht unbemerkt: Ein Bund silberner Glöckchen über der Tür verrät jeden Eindringling, noch bevor er einen Fuß über die Schwelle setzen kann. „Seit 1905“ steht an der Scheibe, und innen sieht es tatsächlich ein wenig so aus, als sei die Zeit stehen geblieben: Auf dem Tresen funkelt eine mechanische Registrierkasse, die alte Nussbaum-Einrichtung glänzt, ein goldenes Schild warnt: „Keine Selbstbedienung“.
Hier, bei „Kleemann-Hüte“ in der Schönhauser Allee, wird seit 100 Jahren das Abc der Hutmode und der Putzmacherei buchstabiert: Basken-, Schieber- und Strickmützen, Melonen, Zylinder und Chapeau-Claques, Hüte und Käppchen aus Cord, Filz, Leder oder Stroh. Die linke Seite für die Damen, die rechte Seite für die Herrn. Das Ganze hinter den Schiebetüren einer original erhaltenen Hutgeschäft-Einrichtung aus den Dreißigerjahren, die vor Staub und Sonne schützt.
Doreen Persche, 32, gelernte Modistin und Inhaberin von „Kleemann-Hüte“, führt hier die Putzmacher-Tradition ihrer Familie weiter. Bereits ihre Großeltern seien im Hutmachergeschäft tätig gewesen, erzählt sie, sie selbst sei in der Hutwerkstatt ihres Onkels groß geworden. Auf der Schönhauser Allee, zwischen dem türkischen Gemüseladen „Yasemin“ und dem schwulen Sexshop „Bruno’s“, verkauft sie nicht nur Hüte von Mayser, Stetson oder Seeberger, sondern auch eigene Maßanfertigungen – für Bräute, für Theater oder auch für Menschen, die einfach nur ihre alte Lieblingsmütze ein zweites Mal haben wollen. In der Werkstatt im Hinterhof stehen ein Trockenofen und eine Dampfglocke, im Hinterzimmer dudelt ein kleines Transistorradio.
Nicht zuletzt ruft ein Geschäft wie „Kleemann-Hüte“ in Erinnerung, dass die Geschichte der Hutmode zugleich auch eine Geschichte der Rebellion und des Generationenkonflikts ist. Filzhüte und Tweedmützen waren lange als Spießerschick verschrien, völlig auf Kopfbedeckungen wollte die Jugend dann aber doch nicht verzichten – und so wird das Straßenbild nun schon seit vielen Jahren von Baseball- und Truckermützen oder olivgrünen Fidel-Castro-Kappen dominiert. Eine Mode, die längst beliebig geworden ist. Wer sich heute abheben will, muss in der Geschichte also wieder weiter zurückblättern. Und tatsächlich: Die Modestylisten von Magazinen wie Spex oder De:Bug fanden es in den letzten Monaten richtungsweisend, den sonst eher uniformen Turnschuh- und Sportswear-Look ihrer Fotostrecken mit einem ordentlichen Stetson zu brechen – ausgeliehen bei „Kleemann-Hüte“. Und auch außerhalb von Magazinen sieht man immer häufiger junge Menschen – meistens Männer, manchmal auch Frauen –, die ihre weiten Jeans und abgeschabten Lederblousons mit klassischen Filz- oder Cordhüten kombinieren. Viele kleine Dick Tracys, Ushers und Justin Timberlakes.
Was wiederum die Tür in der Schönhauser Allee 131 häufiger klingeln lässt. Ihre Kundschaft werde keineswegs immer älter, berichtet Doreen Persche, ganz im Gegenteil: Den größten Zuwachs beobachte sie bei Männern im Alter von Ende 20, Anfang 30. Sie kämen ganz gezielt in ihr Geschäft, „weil die auch ein bisschen Beratung wollen“. Im Kaufhaus wird meistens gar nicht richtig hingeschaut, ob ein Hut wirklich passt, sie hingegen hätte ein schlechtes Gewissen, Kunden mit einem Modell nach Hause gehen zu lassen, das ihnen gar nicht steht.
Persche übernahm das Geschäft vor sieben Jahren von ihrem Onkel, dem Hutmachermeister Günther Baumbach, der zu DDR-Zeiten Obermeister der Berliner Putzmacher-Innung war und seinen kleinen Hutsalon in Weißensee 1986 gegen das größere Geschäft in Prenzlauer Berg tauschte. Der Name „Kleemann“ ist damals von der Vorgängerin übernommen worden, erzählt Persche, denn „bei so einem alten Laden ändert man den Namen nicht“. Zu seiner Hochzeit kurz vor der Wende beschäftigte „Kleemann-Hüte“ elf Angestellte und zusätzliche Heimarbeiter, schließlich wollte die gesamte DDR behütet werden. „Damals konnte man ja nicht großartig was Schönes einkaufen, man hat ja fast alles selber produziert“, erinnert sich Persche. Heute beschäftigt sie nur noch zwei Lehrlinge.
Dabei wirkt es beinahe schon wie ein Wunder, dass sie sich mit ihrem Geschäft überhaupt gehalten hat – noch dazu in einem Abschnitt der Schönhauser Allee, in dem mittlerweile fast jeder alteingesessene Laden kapituliert und seinen Platz für die nächste „Resterampe“ geräumt hat. Persche selbst erklärt sich das Überleben ihres Geschäfts mit seiner Spezialisierung. Die Zeiten, in denen sie versucht hat, auf der Preisspirale nach unten mitzuhalten und H & M mit Hüten für zehn Euro das Stück Konkurrenz zu machen, sind vorbei. „Ich schaue jetzt wieder stärker auf Qualität. Wir hatten früher Filzhüte, die waren hinüber, wenn sie ein, zwei Mal in den Regen kamen. Ein Stetson, der kostet zwar sein Geld, den hat man dann aber auch ewig.“
Der andere Grund für den Erfolg von Kleemann-Hüte ist vermutlich, dass die Maßanfertigungen vergleichsweise günstig sind. Das Volkstheater Rostock, die Schwedter Bühnen, das Gorki Theater und der Friedrichstadtpalast bestellen bei ihr. Vor kurzem habe sogar ein kleines Theater aus dem Schwarzwald einen Auftrag geschrieben, erzählt Doreen Persche. „In der Kostümbildnerszene kennt man sich, da wird viel über Mund-zu-Mund-Propaganda weiterempfohlen. Manchmal bekommen ich nachher sogar eine Einladung zur Premiere geschickt.“
So sind Doreen Persche und ihre Lehrlinge die ganze Woche über gut beschäftigt. Die junge Frau und der junge Mann, beide 22, sind laut ihrer Chefin mit Begeisterung bei der Sache. Wenn die beiden zwischendurch mal wieder drei Wochen nach Schleswig-Holstein zur Berufsschule müssen und dort zusammen mit angehenden Kürschnern, Herrenmaßschneidern und Sattlern in einer Klasse sitzen, kann es im Geschäft in der Schönhauser Allee allerdings schon mal eng werden. Dann greift Modisten-Innungs-Obermeister a. D. Günther Baumbach seiner Nichte unter die Arme, fährt morgens mit dem Staubsauger über den Teppich und empfängt die erste Kundin, die pünktlich um zehn Uhr an die Tür klopft, wie eine alte Bekannte: „Guten Morgen, Madame, begrüße Sie!“
Im Mai, wenn das Wetter wieder ein bisschen freundlicher ist, möchte Doreen Persche übrigens das hundertjährige Bestehen ihres Geschäfts gebührend feiern. Draußen vor den Schaufenstern, zwischen „Yasemin“ und „Bruno’s“, soll dann richtige Straßenfestatmosphäre aufkommen. Mit ein bisschen Sekt und natürlich mit einer Hutmodenschau.
Kleemann-Hüte, Schönhauser Allee 131