Medienkollektiv will das Internet erobern: Linke Influencer*innen

Die interventionistische Linke versucht, Jugendliche über Youtube zu erreichen – ein neues Terrain für emanzipatorische Bewegungen.

Ein linksradikales Filmset sieht auch nur aus wie ein ganz normales Filmset. Bild: Privat

Das Interview führte JORDI ZIOUR

Gemeinsam die Welt verändern: wie geht das eigentlich?" – Dieser Frage widmet sich das neue Medienkollektiv „Solidarity will win – let's get organized!" der interventionistischen Linken und Freund*innen in ihrer ersten Folge auf Youtube. Lena*, vor der Kamera, und Anna*, hinter der Kamera, erzählen, wie das Projekt entstand, wieso es für Jugendliche nicht immer leicht ist in linken Gruppen anzukommen und warum es in Deutschland noch keine linken Influencer*innen gibt.

taz: Wie ist das Projekt entstanden?

Anna: Wir haben als interventionistische Linke die Broschüre „Solidarity will win“ herausgebracht, die bei Organisierung einer politischen Gruppe unterstützen soll. Da ist schon die Idee gereift, daraus auch mal Videos zu machen.

Lena: Wir sind so herangegangen, dass wir uns selbst gefragt haben, wenn wir heute 16, 17 oder 18 Jahre alt wären, was für Inhalte würden wir gerne im Netz sehen. Es ist der Versuch, sich zu überlegen, was hätte mir in meiner Politisierung geholfen, was sind die Inhalten, die ich auch gerne weiterempfohlen hätte. Die andere Sprecherin im Video und ich haben unterschiedliche Geschichten in der Bewegung, sie ist bei den Anti-Kohle-Kidz und ich bei der interventionistischen Linken. Unser Versuch ist, über unsere persönlichen Geschichten und eigenen Leben den Zuschauer*innen zu zeigen, warum wir was machen.

Wollt ihr linke Influencer*innen werden?

Anna: Ja, ich glaube, wir haben eine Leerstelle entdeckt. Wir dachten, es wäre total schön bei Social-Media und Youtube, Wissen zu teilen, dass in der Bewegung bereits vorhanden ist. Gleichzeitig ist das neue Feld noch ein bisschen befremdlich für uns.

Linksradikale sind auch nicht gerade für professionelle Medienarbeit bekannt.

Anna: Wir haben unter anderem eine Studie der Rosa Luxemburg Stiftung zu linken Influencer*innen gelesen. In England zum Beispiel gibt es schon linke Influencer*innen, in Deutschland hingegen nur sehr wenige. Wir haben das Gefühl, in Deutschland passiert eher viel versteckt. Hier sind die Linksradikalen nicht so medienaffin. Einer unserer ersten Kommentare bei Youtube war unter anderem, dass man so ein Video nur mit Sturmhaube drehen sollte, weil man sich auf Youtube so nicht zeigen könnte.

Lena: Ich glaube, die deutsche linke Szene zögert aufgrund von Datenschutz und Repression. Meine Einschätzung ist, dass andere Linke wie in den USA deutlich weniger Ängste damit haben. Das ist einfach ein kultureller Unterschied.

Also ist euer Projekt eine neue Form linker Öffentlichkeitsarbeit?

Lena: In Teilen auf jeden Fall. Wir sind nicht die Ersten und die Einzigen, wir versuchen, das Feld der Influencer*innen von links zu besetzten, das für die radikale Linke weitgehend unbekannt ist und experimentieren herum.

Euer erstes Video handelt von der Schwierigkeit, als Jugendlicher in linken Gruppen anzukommen. Wieso ist das so und warum habt ihr genau dieses Thema gewählt?

Lena: Ich glaube, weil die linke Bewegung nicht nur eine Bewegung ist, sondern auch eine Szene. Es gibt viele Kodizes und Geheimniskrämerei um vermeintliches Wissen, aber auch reelle Sicherheitsmaßnahmen und Repressions-Sorgen und so weiter. Das vermischt sich zu einem Cocktail, der von außen mysteriös und einschüchternd wirkt.

Anna: Ich weiß noch in meiner Politiserungszeit, da kam mir alles sehr weit weg vor. Auf der einen Seite hängt man in der Luft und will was tun und man ist einfach eingeschüchtert und man weiß nicht so richtig, wie das geht. Es ist unserer Hoffnung, niedrigschwellig runterzubrechen, was man denn so tun kann, so first stepts, wenn ich die Frustration spüre und eigentlich etwas machen möchte.

Vor Corona waren auch echt viele junge Leute regelmäßig auf den Straßen und haben demonstriert.

Anna: Gerade in der Klimagerechtigkeitsbewegung bei Fridays For Future passiert super viel. Da wollten wir unserer Erfahrungen teilen, als eine mögliche Hilfestellung, weil jüngere Menschen, die sich politisieren, ihren Platz in der Bewegung erst noch suchen und sich oft alleine fühlen mit der gesellschaftlichen Situation.

Lena: Eine Motivation war auch dieses super krasse Bewegungsjahr 2019, indem gerade die Klimagerechtigkeitsbewegung wahnsinnig viel auf der Straße präsent war. Das ist jetzt aber in diesem 2020 Drecksjahr ganz schön abgekippt, aber ich würde sagen, man hat auch schon vor Corona gemerkt, dass die Bewegung abflaut. Der für 2038 beschlossene Kohleausstieg war eine Desillusionierung für große Teile der Jüngeren und uns war es ein Anliegen, jetzt mit einem Angebot reinzugehen, wie Organisierung funktionieren kann, um zu zeigen, dass es Sinn ergib, trotzdem weiterzumachen und hoffentlich ein paar Leute aus ihrem erstem Polit-Bournout rauszuholen.

Wie organisiert ihr euch als Youtube-Kolelktiv?

Lena: Wie wollen als Gruppe im Konsens entscheiden, welche Inhalte wir setzten, wie wir uns präsentieren und dabei brechen wir mit den üblichen Rollen der Video-Produktion.

Inwiefern?

Lena: Wir haben sehr solidarisch entschieden, wer die inhaltliche Erarbeitung macht, Organisatorisches abklärt, Regie führt und wer sich vorstellen kann, vor der Kamera zu stehen. Ich glaube, das ist etwas, das bei Youtube Neuland ist. Die Videoplattform verengt sich auf die Menschen, die vor der Kamera stehen. Aber eigentlich steht da ein Team hinter.

Anna: Ja, wir wollen das ein bisschen aufbrechen und auch mal Szenen drehen, wo man die Leute sieht, die filmen. Wir haben auch eine Plenumsszene gefilmt, wo wir überlegen, was wir in dem einem kommenden Film sagen, so dass auch hinter dem Laptop sichtbar wird, das viele Leute hinter solch einem Video stecken.

Wie finanziert ihr das Projekt

Anna: Wir werden von der Guerilla Foundation finanziert.

oder macht ihr alles ehrenamtlich?

Lena: Ja, klar. Wir machen es ehrenamtlich. Wir bezahlen uns nicht dafür, aber wir haben natürlich Kosten. Die Videos sind professionell gemacht, wir leihen uns Equipment und das kostet einfach Geld. Aber wir selber kriegen dafür keine Kohle, schön wäre es.

Anna: Aber für das Schneiden und Filmen bezahlen wir Menschen von extern.

Am Ende des ersten Videos kündigt ihr an, dass der nächste Clip zum Thema Aktionsformen sein wird. Was habt ihr vor?

Anna: Das wird klimabezogener.Wir werden Protestformen gegenüber stellen wie Blockaden oder Massendemonstrationen und unter dem Titel „Was rettet die Klimakrise wirklich?“ das Pro und Contra verschiedene Aktionsformen diskutieren.

Lena: Wir diskutieren in dem neuen Video, wann es sinnvoll sein kann, etwas zu blockieren oder eine Demo anzumelden.

Welche weitere Themen werden folgen?

Anna: Im dritten Video geht es um den Tactic-Star, das Herzstück der Broschüre. An neun Schritten lernt man, wie man strategisch eine coole Aktion startet: Was sind die Ziele, die man verfolgt, warum wählt man welche Aktionsform und auf was sonst noch geachtet werden kann. Das wird dort thematisiert.

Lena: Unser Lieblingsvideo bisher.

Anna: Sonst auf jeden Fall noch Moderation. Die anderen stehen noch in den Sternen. Es wurde sich etwas zu Repression gewünscht. Wir haben auch überlegt ein zweites Moderationsvideo zu machen, weil es einfach gerade im Bezug auf Plenumssituationen ein sehr großes Feld ist.

Lena: Und sonst hoffen wir auf den Dialog mit den Zuschauer*innen. Wir haben noch nicht alles fertig abgedreht,sondern wir warten auch noch, wie sich das Projekt entwickelt, was für Kommentare kommen, was wir für Feedback bekommen und richten uns danach.

Wie sieht die langfristige Perspektive des Video-Projekts aus?

Lena: Ich glaube mein Traum wäre es in ein, zwei Jahren ein Video machen zu können, mit einer ganzen Hand voll coolen linken Youtuber*innen mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten. Da gibt es ja noch total viel Raum. Wir sind ja so, wir erklären das Wie des Organisierens, das sind How-to-Videos, aber ich würde mir total gerne linke Youtuber*innen wünschen, die die Welt erklären und ganz viele coole Inhalte einfach runter brechen und mit denen würde ich irgendwann gerne in einem Raum sitzen und ein Video zusammen machen.

* Lena und Anna wollen ihre ganzen Namen nicht öffentlich lesen.

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