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taz FUTURZWEI

Maja Göpel in taz FUTURZWEI „Aufklärung, Inspiration, Ermöglichen“

Die Politökonomin Maja Göpel über Strategien gegen den Klimapolitik-Backlash, ihr neues Science-Netzwerk und ihre neue Kolumne in taz FUTURZWEI.

„Ohne Klimapolitik wird es spätestens auf mittlere Sicht definitiv weniger sicher und kommod.“ Foto: Marcus Brandt/dpa

taz FUTURZWEI | Maja Göpel ist nicht nur Politökonomin, sondern auch Bestsellerautorin („Wir können auch anders“) sowie Gründerin des Science-Society-Netzwerks Mission Wertvoll. Die erste Ausgabe ihrer Kolumne „Neue Ideen, neue Allianzen“ finden Sie in der neuen Ausgabe von taz FUTURZWEI „Kann der Westen weg?“.

taz FUTURZWEI: Frau Göpel, willkommen als taz FUTURZWEI-Kolumnistin. In Ihrer ersten Kolumne (Titel: „Die Standortfrage“) fragen Sie: Was ist „unser“ Standort in der neuen Realität? Was ist Ihre Antwort?

Maja Göpel: Aus meiner Sicht kann das kleine und ressourcenarme Deutschland dann ein relevanter und wohlständiger Standort bleiben, wenn es Europa als Schicksals- und Zukunftsgestaltungsgemeinschaft erkennt und entsprechend auch Verantwortung übernimmt. Im globalen Maßstab ist auch Europa noch klein, und nur weil es mit den USA für 70 Jahre internationaler Rulemaker war, kippt es aktuell sehr schnell in Richtung Ruletaker.

Also jemand, er nach den Regeln der anderen handeln muss.

Ja. Hier wünsche ich mir weniger Überheblichkeitskomplex und mehr proaktiven Mut zugleich.

Sie schreiben: „Die Standortfrage wird nur mit einer guten Brise Patriotismus und konservativen Werten zu lösen sein.“ Nun sind unsere Milieus traditionell progressiv und haben es nicht so mit Patriotismus. Wie meinen Sie Ihren Satz?

Mir ist wichtig, dass wir bei dieser ganzen Labelei nicht vergessen, immer mal zu schauen, was sich denn eigentlich dahinter verbirgt. Konservativ ist ja bewahrend. Und damit ein toller Wert. Wenn etwas gut funktioniert, wertvoll ist, dann macht es viel Sinn, es zu pflegen und mit Respekt zu behandeln. Auch bietet sich an, eine Risikohierarchie einzuziehen: was sind die ultimativen Grundlagen für übergeordnete Ziele? Spätestens bei den Lebensgrundlagen für biologische Wesen wird dann klar, dass wir strukturkreativ reagieren sollten, wenn die bisherigen Lösungen zu Problemen geworden sind. Konservativ und progressiv können sich also wunderbar treffen, wenn wir uns die Mühe geben, eine klärende Frage voranzustellen: Worum geht’s eigentlich? Um die Sicherung der eigenen Position - oder der Voraussetzungen, dass alle eine haben können?

Sie haben gerade ein „Science Society Netzwerk“ namens „Mission Wertvoll“ gegründet. Was ist das und was haben Sie damit vor?

Wir haben in der gGmbH Wissenschaft, Medien und Wirtschaft gebündelt, weil das aus der Transformationsforschung die wichtigen Kräfte für gesellschaftliche Veränderungsprozesse sind. Politik muss natürlich die Spielregeln ändern, aber ob sie das in Demokratien tut, hängt von der Zustimmung der Bürger:innen und dem Lobbyismus sowie der verfügbaren Alternativen ab. Wir möchten also drei Dinge kombinieren: die Fakten mit Tragweite so kommunizieren, dass Personen mit Reichweite sie breit kommunizieren können. Und dabei weben wir immer Geschichten des Gelingens ein, wo Lösungen für eine sozial-ökologische Transformation längst umgesetzt werden, aber im Rauschen der Aufregung ständig übersehen werden. Wir wollen dem Trend zur populistischer Behaupteritis und Fehldarstellungen in der öffentlichen Debatte etwas entgegensetzen und Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unserer Gesellschaft stärken. Parallel bringen wir Personen in Entscheidungspositionen aus verschiedenen „Blasen“ unserer Gesellschaft zusammen, um dem Trend der Fragmentierung und Lagerbildung entgegenzuwirken. Also eine Mischung aus Aufklärung, Inspiration und Ermöglicher:innennetzwerk.

taz FUTURZWEI N°29: Kann der Westen weg?

Europa und Nordamerika haben viel vorangebracht und einiges verbockt. Nun geht es so nicht mehr weiter. Aber wie dann? Es kann schon morgen oder übermorgen vorbei sein mit dem Westen.

Über den Zerfall einer Weltordnung

U. a. mit Joschka Fischer, Dana Giesecke, Maja Göpel, Jürgen Habermas, Wolf Lotter, Jörg Metelmann, Marcus Mittermeier, Ella Müller, Luisa Neubauer und Harald Welzer. Ab 11. Juni am Kiosk

Zur neuen Ausgabe

Zukunftsorientierte Wirtschafts- und Klimapolitik erleidet im Moment einen Backlash in Europa. Stimmt das und wie erleben Sie das in Ihren Gesprächen mit Entscheidern?

Ich erlebe eine Mischung aus Ratlosigkeit, Egoismus, Durchstarten und Kleinkind. Diejenigen, die wirklich verstanden haben, worum es geht, sehen auch die Dilemmata ganz klar vor Augen: Wettlauf um die Ressourcen, Geopolitik, übersättigte Märkte, demografische Wende und wachsende Umweltrisiken, ohne dass sich auf der globalen Ebene verbindliche Abkommen wie ein CO2-Preis oder Ko-Finanzierung des Schutzes der Biodiversität und ihrer Flächen oder eine Einhegung des Extraktionszwangs durch die Kapitalmärkte abzeichnet. Einige schwanken noch, ob sie Altes weiter stabilisieren oder jetzt den Durchbruch in neue Geschäftsmodelle wagen wollen, andere sichern ihr privates Vermögen ab und checken aus der Verantwortung aus. Wieder andere investieren sich und ihr Vermögen in ganz neue Lösungen, um Alternativen zum Status Quo zu entwickeln mit dem Tenor: jetzt erst recht. Und es gibt die „Kein Bock“-Fraktion: ich will mir nicht sagen lassen, was ich zu tun habe und ich will auch nicht, dass es nun anders wird, als ich gewohnt bin. Die letzte ist deshalb problematisch, weil sie sich mit ziemlich faktenfreien Behauptungen in die Debatten einmischt.

Manche arbeiten mit der Gleichung: Je mehr Klimapolitik, desto mehr Auftrieb für demokratiefeindliche Kräfte. Rational müsste es andersherum sein. Wie kommt man gegen diese Behauptung an?

Indem immer wieder klar gezeigt wird, dass Klimaschutz seit Jahren konstant bei 70 bis 80 Prozent der Bevölkerungen in Europa in den Top 4 der wichtigen Themen rangiert. Dazwischen direkt spürbare Entwicklungen wie Sicherheit, Migration, Lebenshaltungskosten, Krieg. Es geht darum, dass gute Klimapolitik bisher noch zu erfolgreich von Besitzstandswahrern torpediert wurde – in der verlässlichen Umsetzung sowie der Kommunikation von Begründungen und Effekten. In den wissenschaftlichen Empfehlungen sind die möglichen Pfade vorgezeichnet, aber zuletzt haben nur 21 Prozent der Menschen in Deutschland gesagt, dass sich ihr Leben durch Klimapolitik verbessern wird.

Wie sehen Sie es?

Ja, wir werden nicht mehr auf diesem Niveau des Überkonsums weitermachen können, aber für gutes Leben wird es viele Vorteile geben, insbesondere für Gesundheit und Nahrungssicherheit, aber auch für ökonomische Stabilität. Und: dass es ohne Klimapolitik spätestens auf mittlere Sicht definitiv weniger sicher und kommod wird, fällt leider als logischer Umkehrschluss aus der Überlegung und Berichterstattung immer wieder raus.

Vier Fünftel der Leute, die taz FUTURZWEI abonniert haben, sagen dass die Wirtschaft der entscheidende Transformationsort sein wird. Was sagen Sie dazu?

Ich stimme mit diesen 80 Prozent voll überein. Das war schon die Botschaft vom Club of Rome: es ging nicht um das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes per se, sondern um das, was hinter dieser Summe von geschätzten Einzelpreisen real passiert. Das Ausmaß an Ausbeutung und Verschmutzung der Ökosysteme führt sonst zu Versorgungsengpässen und Chaos-Klima. Die gute Nachricht ist ja, dass wir für eine hohe Lebensqualität auch bei weitem nicht die Größenordnung an Platz und Besitz und Vermüllung brauchen, die wir für „normal“ erklärt haben. Es ist also eine Frage der finanziellen Stabilität und sozialer Kohäsion, ob wir hier die Kurve kriegen. Und eine Frage sehr guten Designs: höchste Performanz bei geringstem ökologischem Fußabdruck als Innovationsformel.