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Machtfrage in BetriebenBrauchen wir überhaupt Chefs?

In den meisten Betrieben gibt es einen Chef. Manche aber haben ihn abgeschafft: Jeder Mitarbeiter darf mitreden. Geht das? Zwei Chefinnen, zwei Kollektive und ein Soloballetttänzer sagen ihre Meinung.

Proben im Schauspielhaus in Stuttgart ein Theaterstück mit dem Titel: Hauptsache Arbeit Bild: dpa

CAROLA BLUHM (Linkspartei), Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales:

"Die Idee, dass in einer Gruppe alle gleichberechtigt entscheiden können, ist faszinierend. Die allermeisten Organisationen, mit denen wir heute zu tun haben, sind nach wie vor hierarchisch aufgebaut. Und dort, wo die Hierarchien angeblich am flachsten sind, gibt es oft die meisten informellen Entscheidungswege. Diskussionen sind dann offiziell erwünscht, führen aber zu nichts.

Verdeckte Hierarchien sind die gefährlichsten. Gegen sie kann man sich kaum wehren, und sie verschleißen enorme Energien. Meiner Erfahrung nach lohnt es sich für die Arbeit immer, viel Fachwissen und viele Meinungen zusammenzutragen - auch solche, die mir erst mal gar nicht schmecken. Dabei ist die Hierarchieebene, von der die Meinung kommt, nicht so relevant. Klar muss am Ende ich entscheiden. Davor darf ich mich nicht drücken, ich trage als Senatorin die Verantwortung. Aber durch die Diskussion und den fachlichen Austausch ist es eben nicht meine einsame, alleinige Entscheidung, sondern es haben dazu viele beigetragen.

Ich war schon einmal in der Situation, Macht aufzugeben, als ich 2001 den Fraktionsvorsitz abgegeben habe. In die 2. oder 3. Reihe zurückzugehen, kann sehr schön sein. Ich hatte auf einmal Zeit, konnte meine Kinder viel intensiver begleiten, war wieder selbstbestimmt, habe viele Dinge tun können, zu denen ich vorher nie kam. Und aus einer solchen Phase gibt es ja möglicherweise auch wieder einen Weg zurück in die erste Reihe. In der Politik ist Macht auf Zeit verliehen. Und im politischen Leben zwischendurch die Perspektive zu wechseln, ist auf jeden Fall sinnvoll."

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MONA RUEBSAMEN, Geschäftsführerin des Privatradios Motor FM:

Man kann ein erfolgreiches Geschäft auch ohne Hierarchien führen. Bei klarer Aufteilung der Zuständigkeiten, lebendiger Kommunikationskultur ohne Profilneurosen und Finanztransparenz klappt das bis zu einer gewissen Unternehmensgröße hervorragend. Ein Unternehmen, das aus mehr als einer Person besteht, braucht klare Strukturen und definierte Zuständigkeiten. Je mehr Menschen zusammenarbeiten, desto wichtiger ist dies.

Bei acht bis zehn Leuten kann das durchaus im Kollektiv funktionieren. Bei allem darüber hinaus hat sich das Prinzip "Bereichsleitung" in Kombination mit "Geschäftsführung/Chef" bewährt. Bei einem Unternehmen, das aus gleichberechtigten Gründern besteht, die alle im Unternehmen Vollzeit mitarbeiten und in dem alle Risiken zu gleichen Teilen getragen werden, hat die Unternehmensstruktur einen Kollektivcharakter und das kann prima funktionieren. Ganz anders ein laufendes Unternehmen, das Leute als Angestellte beschäftigt. Hier existiert zwangsläufig eine vorgegebene Hierarchie inklusive Chefetage. Das kann je nach fachlicher Kompetenz und Führungsstil auch entspannt sein für die Mitarbeiter.

Es wäre schön, wenn Macht über "machen" definiert werden würde und nicht mit auf Außenwirkung und Selbstprofilierung bedachtem Hierarchie-Verständnis. Jemand meinte mal treffend, die Antenne sei die beste "Schwanzverlängerung ohne OP". Meine Sache ist das nicht. Wenn ich wüsste, dass der Sender gut weitergeführt würde, lasse ich gern jemand anderen schuften, suche mir ein neues spannendes Projekt und freue mich, wenn der Sender wächst und gedeiht.

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KOLLEKTIV BIOLADEN Kraut und Rüben am Kreuzberger Heinrichplatz:

Die Wege, wie die Einzelnen zum Kollektiv kamen, sind unterschiedlich. Was uns gemeinsam ist, ist ein linkes Politikverständnis und die Utopie einer solidarischen Gesellschaft. Ein Ideal ist dabei der hierarchiefreie Raum. Das heißt für uns achtsam zu sein, um versteckte Hierarchien zu erkennen und zu überwinden. Jede Einzelne übernimmt Verantwortung, aber es ist eine Bereicherung, sie teilen und auch abgeben zu können. Wir wollen die unterschiedliche Arbeit für das Ganze gleichbewerten. Ein Ausdruck davon ist der gleiche Lohn für alle. Aber wir sind natürlich nicht gleich und wir wollen es auch gar nicht sein. Fähigkeiten und Bedürfnisse sollen so wenig wie nötig vereinheitlicht werden. Die Kollektivstruktur ermöglicht es uns zum Beispiel, einerseits gemeinsam die Richtlinien für die Arbeit festzulegen und andererseits Ausnahmen zu beschließen, um den Bedürfnissen oder besonderen Lebenslagen der Einzelnen entgegenzukommen. Mit jeder Arbeitsteilung geht aber ein Stück Einblick aller in alles verloren; damit steigt die Gefahr einer informellen Hierarchisierung. Andererseits könnten wir ohne die Arbeitsteilung nicht in dem Maße effektiv arbeiten, wie es zum Weiterbestehen notwendig ist.

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KOLLEKTIV BUCHHANDLUNG Schwarze Risse, Kreuzberg:

Bei unserem Kollektiv wird alles zusammen entschieden. Das dauert länger, dafür sind die Entscheidungen aber dann fundiert. Wir wollen uns damit ja nicht die Arbeit mühsamer gestalten, als sie ohnehin schon ist, sondern wir finden, dass es eine große Erleichterung ist, wenn man keine Befehle erteilt bekommt. Wir halten es für erstrebenswert, Hierarchie in allen Bereichen abzubauen, denn die Interessen und Bedürfnisse der mehr oder weniger Machtlosen werden sonst nicht berücksichtigt.

Deswegen sagt Autor Arno Schmidt: "Ein anständiger Mensch wird kein Chef." Natürlich kommt es auf das Projekt an. Ein Callcenter, ein Gefängnis oder etwa einen Krieg kann man wahrscheinlich nicht ohne Hierarchie führen. Will man hingegen was Nützliches produzieren, gelingt das besser gleichberechtigt und basisdemokratisch organisiert. Die Aufgaben werden idealerweise nach Interesse, Lust und Fähigkeit der Einzelnen verteilt. Diese Differenz führt aber nicht zwangsläufig zur Herrschaft. Allerdings bilden sich in einem Kollektiv informelle Hierarchien. Man kann gesellschaftliche Machtverhältnisse nicht per Konsensbeschluss außer Kraft setzen.

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RAINER KRENSTETTER, Solotänzer des Staatsballets:

Die Hierarchie des klassischen Balletts hat einen konkreten Einfluss auf meine tägliche Arbeit. Als Solotänzer übe ich meine Rolle allein. Man sieht das Corps de Ballet meist nur bei den letzten Proben oder bei den Bühnenproben. Die Hierarchie stört bei der Arbeit einer Tanzcompagnie nicht, sondern strukturiert sie. So kennt jeder seinen Aufgabenbereich.

Im Staatsballett Berlin gibt es menschlich keinen Unterschied zwischen Corps de Ballet und Solisten. Das ist nicht überall so! Außerdem bildet Hierarchie auch eine Motivation, aufzusteigen. Der Aufgabenbereich eines Solisten ist ein sehr schöner. Ich könnte mir nicht vorstellen, nicht mehr auf der Bühne zu sein. Aber wenn ich aufhöre, werde ich wahrscheinlich im Hintergrund woanders anfangen.

Autoren: LOR / API / AO

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