piwik no script img

Archiv-Artikel

MIT DER NOMINIERUNG EDWARDS’ SPRINGT KERRY ÜBER SEINEN SCHATTEN Vize als Gegengewicht

John F. Kerry ist glücklicherweise über seinen Schatten gesprungen, indem er John Edwards als seinen möglichen Vizepräsidenten auswählte. Dies gibt Anlass zur Hoffnung auf einen leidenschaftlicheren Endspurt im Wahlkampf.

Das bisher eher vorsichtige, unaufregende und spröde Auftreten Kerrys ließ vermuten, dass er sich einen gleichgesinnteren Partner suchen würde. Der blasse Dick Gephardt, ein erfahrener und respektierter, jedoch saftloser Exkongressabgeordneter, rangierte daher lange Zeit bei Politgurus hoch im Kurs, auch wenn die Parteibasis schon lange mit dem Daumen nach unten zeigte. Nun hat Kerry ihrem mehrheitlichen Wunsch entsprochen. Es wäre auch unklug gewesen, hätte Kerry die Stimmung in den eigenen Reihen ignoriert. Nur 68 Prozent der Demokraten können sich für ihn erwärmen. Mit einem anderen Partner riskierte er das Wohlwollen so mancher Stammwähler.

Sicher, aus rein wahltaktischen Gründen überrascht die Entscheidung für Edwards nicht. Er fungiert als Kerrys Gegengewicht: Südstaatler, Innenpolitiker, armes Elternhaus, politischer Novize, unverbraucht. Auch der Charakter und das öffentliche Auftreten beider könnte unterschiedlicher kaum sein. So besteht die Gefahr, dass er dem Wahlvolk von nun an permanent vor Augen führt, über welche Stärken Kerry nicht verfügt. Insofern könnte er dem Bush-Herausforderer unangenehm werden. Wenn Kerry nun dennoch mit Edwards antritt, zeigt der Kandidat damit auch, dass er risiko- und einsatzfreudiger ist, als bislang angenommen.

Ein Makel bleibt jedoch, den die Konservativen genüsslich ausschlachten werden. Auch Edwards ist bekanntlich zweite Wahl. Nicht wegen seiner Persönlichkeit, sondern weil Kerry ursprünglich einen für Amerika wirklich revolutionären Coup plante: Den Republikaner John McCain wollte er ins Boot holen und somit eine Team der nationalen Einheit bilden. Doch diese Episode dürften die Wähler bald vergessen haben. Die Erfahrung zeigt ohnehin, dass der „Running Mate“ die Wählermeinung nur unwesentlich beeinflusst. Auf den Herausforderer kommt es an. MICHAEL STRECK