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Archiv-Artikel

MARTIN UNFRIED ÜBER ÖKOSEXWIR LEBEN IN EINEM LAND, DAS AN SONNE UND HIRN BESCHRÄNKUNGEN AUFWEIST Der neue Solarneid

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Mittwoch Kübra Yücel Das Tuch

Donnerstag Matthias Lohre Männer

Freitag Arno Frank Geräusche

Montag Martin Reichert Landmänner

Dienstag K.-P. Klingelschmitt Älter werden

Hermann Scheer starb an einem Donnerstag. Verblüffenderweise konkurrierte die Meldung am Freitag in der „Tagesschau“ mit einer fantastischen Botschaft: Die Installation von Photovoltaik (PV) ist explodiert. Wir erleben in diesem Jahr eine solare Offenbarung und den Aufbruch der Solarenergie in neue Dimensionen. Also die kraftvolle Widerlegung des sogenannten Pipifaxarguments.

Sogenannte Energieexperten erzählten noch vor kurzem PV sei Pipifax und könne niemals einen wirklichen nennenswerten Beitrag leisten in einem Land mit beschränktem Sonnenschein. Sie argumentieren: Einspeisevergütung an sich okay, aber die Förderung von PV absurd. Spätestens seit diesem Freitag im Oktober ist PV kein Pipifax mehr.

„Bundessolarminister“ Röttgen rechnet für 2010 mit einem Zubau von 6 Gigawatt, wo es im Jahr davor noch 3,8 waren. 6 Gigawatt bedeutet, wenn meine Recherche stimmt, an sonnigen Sommertagen eine Leistung wie 7 bis 8 Kohlekraftwerksblöcke. Damit ist der PV-Zubau das technologische Großprojekt in Deutschland 2010. Merkwürdig allerdings, dass dieses Megakraftwerk nicht gefeiert wird. Warum wird uns der Durchbruch der Technologie des 21. Jahrhunderts als Klimakatastrophe präsentiert?

An diesem einen Freitag wurde in allen Medien nur über die hohen Kosten der Erneuerbaren Energien (EEG) gesprochen. Schlimm: Diese Erneuerbaren kosten jeden Verbraucher im Jahr 60 Euro mehr. Schlimm: Der Solarstrom frisst uns die Haare vom Kopf. Da hatten die ganz anderen Zahlen der EEG-Befürworter keine Chance. Die Agentur für Erneuerbare listete beispielsweise die regionale Wertschöpfung auf, die vermiedenen Umweltkosten und den PV-Effekt auf die Dämpfung der Preise an der Strombörse. Keine Chance den Mythos vom elenden Preistreiber PV zu entkräften. Getitelt wurde: Ökostrom verteuert Stromrechnung. Genial für alle Kohle- und Atomfreunde. Die Kosten der Energiewende werden nicht bei ihnen verbucht.

Deshalb zahlt der kleine Mann auch nicht wegen Atomenergie und Kohle, sondern blutet für die Solarenergie. Plötzlich taucht sogar in LeserInnen-Kommentaren zu Hermann Scheers Tod ein bisher unbekanntes Argument gegen das EEG auf. Alles voll asozial: Der arme Hartz-IV-Mieter in Gelsenkirchen bezahle doch nur die Solaranlage vom schwäbischen Zahnarzt. Der Stichwortgeber hier ist der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Sein Energiexperte Holger Krawinkel erläutert in allen Medien, dass arme Mieter in den Ballungsräumen im Grunde für die Altersvorsorge des süddeutschen Eigenheimbesitzers bezahlten. Das ist genial. Solarneid!

Natürlich ist das Argument schief. Die Renditen der abgeschriebenen Atom- und Kohlekraftwerke sind natürlich viel höher als die der solaren schwäbischen Zahnärzte. Sonst hätten die Konzerne selbst mehr in Erneuerbare investiert. Und natürlich blecht der Hartz-IV-Mieter in erster Linie für die exorbitanten Gewinne aus abgeschriebenen, schmutzigen Kraftwerken. Das steht aber leider nicht auf der Stromrechnung.