MARTIN UNFRIED ÜBER ÖKOSEXPOETISCHES REISEN IN ZEITEN DER ASCHEWOLKE: AUF DER SUCHE NACH DEM ULTIMATIVEN ROMANTITEL : Nackt im Nachtzug nach Rom
Nach Rom im Nachtzug. Nicht weil kein Flugzeug flog. Ich schlief mich schon bis Madrid, Vilnius, Budapest und Warschau durch. Man nennt mich auch im Freundeskreis scherzhaft die „Bahnmatratze“. Eigentlich wollte ich in Rom nur Elektrobusse testen und die Situation des Fahrradverkehrs erforschen, aber daraus entwickelte sich ein poetisch-philosophisches Feuerwerk. Mir fielen so viele gute Romantitel ein. „Stadt ohne Räder“ beispielsweise. Das bezieht sich auf das Fehlen von Fietsen im ewig verstopften Stadtverkehr.
Ja, es gibt auch in Rom ein neues Bikesharing-System mit öffentlichen Leihrädern. Nein, es fährt niemand damit. Was für eine Enttäuschung. „Eine Stadt ohne Räder ist wie eine thermische Solaranlage ohne Heizungsunterstützung“, könnte beispielsweise mein potenzieller Romanheld Riccardo hauchen. „Emilia, die großbusige, kleine Bioladenbesitzerin aus Trastevere schaute ihn staunend an.“
Die Geschichte dazu fand sich in der römischen Tageszeitung. „Vom Winde verweht“: ein Windpark, viel Korruption, EU-Gelder und mitten drin Berlusconi-Freunde auf Sardinien. Es scheint, als haben italienische Politiker die Erneuerbaren bereits ganz normal integriert.
Ganz nebenbei musste übrigens der italienische Wirtschaftsminister letzte Woche zurücktreten, weil er eine Wohnung mit Dachterrasse am Kolosseum zum Schnäppchenpreis gekauft hatte. Auch von Riccardos Dachterrasse hatte ich einen schönen Blick auf viele Antennen, jedoch „kein Kollektor nirgends“. Ich notierte: „Traurig duschten Riccardo und Emilia nach dem Sex mit dem warmen Wasser der fossilen Gastherme.“
Der Ökosex-Roman ist übrigens ein ganz neues Genre. Ich mische eisenharten ökologischen Fundamentalismus auf spielerische Weise mit einem Schuss Liebe, viel Humor und noch mehr Nachtzugreisen. „Nachtzug nach Rom“ klänge intellektuell nach Böll, „Nackt im Nachtzug nach Rom“ könnte die Auflage heben. An dieser Stelle möchte ich Ulrich Beck danken. Immer wenn ich in einer europäischen Metropole eine links-liberale Zeitung aufschlage, schreibt dieser europäische Intellektuelle was Beschauliches. Letzte Woche in der Repubblica ging es um die „Fluggesellschaft“, die sich ein Leben jenseits des Flugzeugs nicht vorstellen könne. Geschrieben „im Bummelzug von Trondheim nach Östersund.“ Welche Fügung: Ich las die Beck’schen Zeilen im „Elektrobus 116“ zwischen spanischer Treppe und Campo de Fiori. Der „Elektrobus 116“ ist übrigens die Perle Roms, so leise und elegant.
Jetzt zum ÖPNV im Allgemeinen. Der ist okay und volksnah. Im 87er vom Forum zur Piazza Argentina stand ich zufällig neben dem niederländischen Außenminister. Er schaute wie ich traurig auf die verdunkelten italienischen Politikerlimousinen. Und der Papst? Hat eine kleine Alibi-PV-Anlage von Solarworld auf der Audienzhalle. Denn sein Hauptsponsor, der auf dem Petersplatz die Bandenwerbung versorgt, ist das fossile Ölunternehmen ENI, früher Agip. Handelt mit allem, was das Klima halt so ruiniert. Diese „letzte Ölung“, ist sie nicht schon allein einen Papst-Rücktritt wert? MARTIN UNFRIED