MANNI UNTERWEGS : Auf Friedrichs Spuren
Biene steuerte den Q7 am Silvaplana-See entlang. Der Himmel eisblau über den Gipfeln. Hypnotisiert von den Arabesken der Seidentapete in seiner Klause hatte ER hier seine besten Aphorismen hingeschrieben. Wie sich das Tapetenmuster in SEINE Texte eingebrannt hatte, hatte Manni ein Stuttgarter Privatdozent einmal erläutert.
Sie kamen an einem Schild vorbei: Zum Fels der ewigen Wiederkehr des Gleichen links herum. Sieh an, Manni wollte schwören, der steht zu Hause in seinem Wohnzimmer. In SEINER „Genealogie der Moral“ hatte Manni gelesen, dass die geknechtete Seele des zu Ressentiments neigenden Menschen vor lauter Unaufrichtigkeit schielt. Der vornehme Mensch aber äußert seine Gefühle, so er sie überhaupt äußert, spontan, schutzlos, erschöpfend. Seine Seele bleibt rein wie der Spiegel des Sees, weil die ausheilende, auch vergessen machende Kraft mit ihm ist. Gut für Biene, die jetzt den Wagen den Pass hinauf lenkte.
Gut für Manni, so ohne Gedächtnis für die Bösartigkeiten, Kleinlichkeiten und Dummheiten seiner Mitmenschen. Das Arschloch von der Mautkontrolle, der Tankwart, die Rezeptionistin, der Steuerberater, die Presse, Didi der Geizhals …
Je höher sie kamen, desto leichter wurde die Seele. „In dieser starken, hellen Luft, wo die Natur zugleich mild, feierlich und geheimnisvoll ist.“ Das hatte ER geschrieben, und dann hatte ER sich von einer Frau die Peitsche usw. und später die Geschichte mit dem Pferd. Du lieber Gott! Manni klappte den Schminkspiegel runter, um die Größe seiner Pupillen zu prüfen.
„Keine Deviation, kein Tremor“, sagte der Arzt. „Facialisinnervation wenig gestört, fühlt sich ungemein wohl und gehoben, hätte gern jeden umarmt und geküsst, wäre am liebsten an den Mauern in die Höhe geklettert.“ Als Diagnose wurde notiert: progressive Paralyse.
SASCHA JOSUWEIT