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Archiv-Artikel

Linkspartei unterschätzt Platzeck KOMMENTAR VON JENS KÖNIG

Die neue Linkspartei wird früher oder später kommen. Der PDS-Parteitag hat, wenn auch mit beachtlichem Dilettantismus, die formalen Voraussetzungen für das Traumprojekt von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine geschaffen. Viel entscheidender für den Prozess der Parteigründung ist jedoch ein unabhängig von den politischen Akteuren existierender Impuls: Die Reformverlierer sehnen sich nach politischer Repräsentanz, die Agenda 2010 ist ein Oben-Mitte-Projekt geblieben. Die Linkspartei wird diese große Leerstelle der deutschen Politik zumindest in den nächsten drei, vier Jahren besetzen, unabhängig von der Tauglichkeit ihrer Konzepte.

Aber wenn sie mehr leisten will, als nur den gesellschaftlichen Protest aufzufangen, wenn sie wirklich ein realistisches, finanzierbares Unten-Mitte-Projekt entwickeln möchte, muss die Linkspartei geistig mehr bieten als im Moment. Es reicht nicht, jede Politik jenseits der eigenen Partei unterschieds- und einfallslos als „neoliberal“ zu geißeln. Das verstellt zum Beispiel den Blick auf die Herausforderung, die die SPD unter ihrem neuen ostdeutschen Vorsitzenden, Matthias Platzeck, für die Linkspartei bedeutet. Platzeck hatte seine Partei vor vier Wochen selbstbewusst als „links“ und „modern“ bezeichnet und damit deutlich gemacht, wie entschlossen er ist, das am linken Rand verloren gegangene Terrain zurückzugewinnen. Auf dem PDS-Parteitag lief der SPD-Chef trotzdem einzig unter dem Etikett „Hartz-IV-Verfechter“. Die Linkspartei lebt momentan mehr vom Versagen der anderen als von der eigenen politischen Substanz.

Als sei das nicht schon problematisch genug, müssen insbesondere die Genossen von der WASG jetzt lernen, dass es noch viel mehr gibt, von dem sie wenig Ahnung haben: von der DDR-Vergangenheit und dem schwierigen Umgang mit ihr zum Beispiel. Dieses Kapitel der SED- und PDS-Geschichte gehört ab jetzt mit zu „ihrer“ neuen Linkspartei. Da reicht es nicht, auf den Stasi-Eklat des PDS-Schatzmeisters mit der autoritären Forderung zu reagieren, so etwas dürfe sich nicht wiederholen. „So etwas“ wird sich wiederholen – die Frage ist nur, wie differenziert man damit umgeht.