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Linke Holzerei -betr.: "Schluß mit Gutachten", taz vom 25.4.1995

Betr.: „Schluß mit Gutachten“, 25.4.95

Hallo Heike,

Ich bin taz-Abonnent, Atomkraftgegner, Vorsitzender eines bündnisgrünen Ortsvereins und - Mitarbeiter des Hamburgischen Krebsregisters. Meine Berufsrolle habe ich reflektiert. Ich schätze mich als kritischen und auch leidensfähigen Menschen ein. Dein Kommentar zum neuen Kinderleukämie-Bericht der Hamburger Gesundheitsbehörde allerdings übersteigt meine Toleranzschwelle. (...)

Dein Fazit: Behörde nix gutt, die will sowieso nur beschwichtigen. Mit Zahlen und Statistiken kann mensch alles belegen, und es wird so lange begutachtet, bis nix Unerwünschtes mehr da ist: Zahlenschieberei. Dein schlußendlicher Gipfel: Spätestens bei Leukämie von Kindern sind wissenschaftlich-methodische Argumentationen nur noch widerlich, perfide. (...)

Nimm zur Kenntnis: In der Gesundheitsberichterstattung gehen wir nach diesem erkenntnistheoretischen Modell vor: Erkennen - Dokumentieren - Bewerten - Handeln - Evaluieren (und dann: Erkennen usw.). Die Bewertung der epidemiologischen Ergebnisse zu kindlichen Leukämien in Hamburg hat das Krebsregister auf der Handlungsebene zum nächsten Schritt geführt: Einbezug der Bergedorfer Leukämiefälle in eine bundesweite Fall-Kontroll-Studie. Du vertuschst, daß das genau die Konsequenz ist, die Du selbst forderst: Der Bedarf liege im Handeln durch Erforschung der Krankheitsverursachung. Genau das wird gemacht. Nur dann drehst Du Deine Argumentation wieder um; so eine Fall-Kontroll-Studie werde nichts über lokale Auffälligkeiten aussagen; daher können wir's auch gleich bleiben lassen – eben „Schluß mit Gutachten“. Was denn statt dessen – etwa wissenschaftliche Redlichkeit über Bord schmeißen und Daten hinbiegen? (...)

Daher bleibt nur der Schluß, daß Du fachliche Argumente dann für verzichtbar hältst, wenn sie nicht passen. Ist linke Holzerei eher vertretbar, weil die Mächtigen sowieso tricksen? (...)

Mit relativ unfreundlichen Grüßen

Ulf Haartje

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