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Archiv-Artikel

Laokoon festival Afrikanische Orestie

Orest (Lebohang Elephant) verbrennt in einem Tongefäß Kräuter. Deren Rauch steigt in den Kampnagel-Himmel auf, ein süßlicher Duft strömt ins Publikum, vermischt sich mit dem Geruch von verbranntem Holz. Orest kniet auf dem Erdhaufen in der Mitte der Bühne, dem Grab seines Vaters Agamemnon. Immer wieder speit er Wasser in den Kräuterrauch, schwört, Rache zu nehmen an seiner Mutter Klytämnestra (Dorothy Ann Gould), die den Vater einst tötete.

„Molóra“ – Asche – heißt die Adaption der Orestie, dem griechischen Mythos um Liebe und Rache. Die südafrikanische Autorin und Regisseurin Yael Farber transportiert die Tragödie nach Südafrika. Sie setzt die weiße Mutter Klytämnestra an einen Holztisch. Dort hat sie sich zu verantworten vor ihrer schwarzen Tochter Elektra (Lindi Chibi). So wie die weißen Farmer in den südafrikanischen Wahrheitskommissionen Mitte der neunziger Jahre.

So authentisch, dass einem der Atem stockt, wirft die stolze, doch angsterfüllte Farmerin in den schwarzen Gummistiefeln mit Hasstiraden um sich. Mit den Worten „This right hand, a masterpiece of justice“ hält sie triumphierend ihre Mörderinnenhand in die Höhe. „You are my ruin“, grollt die Tochter der Mutter entgegen. Die Frauen ringen, nicht nur mit Worten, sondern auch körperlich. Klytämnestra taucht den Kopf ihrer Tochter mehr als eine Minute lang unter Wasser, lässt sie unter einer grauen Plastiktüte fast ersticken.

Nichts ist hier stilisiert, Farber erspart niemandem die bange Frage, ob die Tochter lebend unter dieser Plastiktüte wieder hervorkommen wird. Fast unaushaltbar ist das, wären da nicht die sechs Frauen und der alte Mann der „Ngqoko Cultural Group“. Ihr Obertongesang bringt den Raum zum Schwingen und lässt die Hoffnung aufkommen, dass alles gut wird. Auch wenn Orest sich mit dem Blut des Stiefvaters Aigisthos besudelt, im Glauben daran, dass sein Menschenopfer Recht ist, weil Tradition.

Zwischen den einzelnen Szenen setzt sich der Chor in Bewegung, leichtfüßig bewegen die Frauen ihre schweren Körper auf dem flachen Holzpodest, die Gruppe schwingt wie ein einziger Leib. Dabei bauen sie unmerklich die Requisiten für die nächste Szene auf. Mal ist der Tisch plötzlich verschwunden, dann wieder da, mit Kerzenständern und Abendbrotgeschirr versehen. Beschmiert mit Erde, Blut und Wasser, stehen sich Kinder und Mutter gegenüber. Yael Farber setzt die Naturelemente verschwenderisch ein. Das funktioniert hervorragend. Im Unterschied zu den antiken Textvorlagen morden die Kinder bei Farber ihre Mutter letzten Endes nicht. Dank der singenden und betenden sechs Powerfrauen in ihren karierten Wollstolen. Katrin Jäger

Weitere Vorstellung: 28.8., 19.30 Uhr, Kampnagel Hamburg