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Archiv-Artikel

Land unter an der Ostseeküste KOMMENTAR VON RALPH BOLLMANN

Liegt es an der großen Koalition? Schon beim ersten schwarz-roten Bündnis der Bundesrepublik vor rund 40 Jahren feierte die NPD bei Landtagswahlen unerwartete Erfolge. Jetzt scheint der Mechanismus erneut zu greifen. Was sollen die Menschen im Nordosten auch wählen, wenn sie mit der Politik in Berlin und Schwerin unzufrieden sind? Die drei großen Volksparteien CDU, SPD und PDS sind allesamt in Regierungsverantwortung befangen, FDP und Grüne gerade in den abgehängten Regionen kaum relevant. Bleibt also die NPD. Oder die Wahlenthaltung, die die Rechten indirekt ebenfalls stärkt.

Der Mechanismus greift allerdings nur dort, wo die Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen groß und das Zutrauen zu den Regierenden entsprechend gering ist. Und da ist die Bundesrepublik, wie Umfragen zeigen, mehr denn je gespalten. Der Zukunftsangst im Osten entspricht ein wachsender Optimismus im Westen. Siehe da: Fast 80 Prozent der Wahlbürger haben bei der Kommunalwahl in Niedersachsen für die Parteien der großen Koalition gestimmt, den Rest teilen sich Grüne, FDP und freie Wähler. Die NPD – die noch nicht einmal flächendeckend kandidierte – verharrte bei 0,2 Prozent.

Ganz anders die Prognosen etwa für Ostvorpommern. Die etablierten Parteien haben für die dortigen Probleme keine Patentlösungen parat, im Gegenteil: Sie verlegen sich darauf, sich selbst und damit auch das Land so positiv erscheinen zu lassen, wie es der Lebenserfahrung vieler Menschen nicht entspricht. Da wäre es schon überzeugender, klar zu sagen, dass Arbeitsplätze in der Industrie in Ostvorpommern niemals mehr entstehen werden und der Landstrich allenfalls auf eine Zukunft als Rentner- und Touristenparadies hoffen kann.

Der NPD-Wahlerfolg, der offenbar bevorsteht, wäre aber nicht denkbar ohne ein mangelndes Demokratieverständnis, das auch mit sozialen Problemen allein nicht zu entschuldigen ist. Doch in einer nüchternen Nützlichkeitserwägung tun die Wähler vielleicht genau das Richtige: Am Sonntagabend werden plötzlich alle sorglosen Westdeutschen wissen, wo Anklam liegt. Und dann wird sich auch die Politik auf einmal für den bereits abgeschriebenen Landstrich interessieren.