Länderfürsten zerrütten Koalition : KOMMENTAR VON BETTINA GAUS
Stimmung! Die Koalitionäre zanken wie die Kesselflicker. Der Bundeskanzlerin wird von SPD-Politikern Wortbruch und unanständiger Führungsstil vorgeworfen. Unionsvertreter finden, dass der sozialdemokratische Fraktionschef nervt, und empfehlen ihm, sich im Urlaub zu beruhigen. Recht haben alle.
Die Angriffe von Peter Struck gegen Angela Merkel nerven in der Tat. Nicht weil sie ungerecht wären – das sind sie nicht. Sondern weil alles Getöse nichts daran ändert, dass die SPD-Verantwortlichen den Eckwerten der geplanten Gesundheitsreform zugestimmt haben. Übrigens ohne dazu mit vorgehaltener Waffe gezwungen worden zu sein. Was immer Struck in diesen Tagen sagt: Schon in wenigen Wochen wird er in seiner Fraktion um Unterstützung für die Vereinbarung der Koalition werben. Und voraussichtlich werden seine Parteifreunde, die jetzt ebenfalls markige Worte in Mikrofone schmettern, die geplanten Änderungen ganz brav abnicken.
In einer großen Koalition schwindet die Bedeutung des Parlaments ohnehin. Die Mehrheit der Regierungsfraktionen ist so groß, dass der Einfluss der einzelnen Abgeordneten gering ist. Gerade erst hat sich bei der Föderalismusreform gezeigt, dass eine ziemlich hohe Zahl von Abweichlern achselzuckend verkraftet werden kann. Die Ministerrunde hat wenig Anlass, sich vor parlamentarischem Widerstand zu fürchten. Zumal die Opposition nur über wenige Mittel verfügt, um die Regierung in Atem zu halten. Ein konstruktives Misstrauensvotum, mit dem die Wahl von Guido Westerwelle zum Bundeskanzler erzwungen werden soll, ist doch sehr schwer vorstellbar.
Die Macht liegt derzeit offenbar nicht beim Bundestag und auch nicht im Kanzleramt, sondern bei den Länderfürsten der Union. Vor denen scheint Angela Merkel größere Angst zu haben als vor schlechter Presse und mieser Stimmung im Kabinett. Wer der großen Koalition zugetraut hatte, mehr zustande zu bringen als ein rot-grünes oder ein schwarz-gelbes Bündnis, sieht sich nun eines Schlechteren belehrt. Nicht Weitsicht regiert, sondern Rücksicht. Auf interne Widersacher und Rivalen. Dafür sollte sich die SPD eigentlich zu schade sein.