LESERINNENBRIEFE : Wenn die Räder stillstehen …
STREIK! Die Lokführer treten in den längsten Arbeitskampf bisher. Ihre Gewerkschaft, die GDL, und insbesondere GDL-Vorsitzender Claus Weselsky sind einem Sperrfeuer der Kritik ausgesetzt. Wer hat recht: die Bahn AG oder die Arbeiterklasse?
Ein Ausreichend
■ betr.: „Muss das sein?“, Pro und Contra GDL-Streik, taz vom 6. 5. 15
Früher hat man/n und frau noch ordentliche Erörterungen geschrieben. Aber ProContra macht sich ja überall breit, erspart einiges. Und jetzt muss ich doch mal den Lehrer raushängen: Für die Recherche rechts gäb’s in der 10. Klasse allenfalls ein Ausreichend. Da muss dann einen Tag später Pascal Beucker kommen und die Schienen wieder geradebiegen („Kommt der Deichgraf zum Bahnsteig“). Dabei wäre Reinhard Umbach von der Wahrheit-Seite („Die Rückkehr der Beamtenbahn“) für die Seite 1 viel besser geeignet. Wenn man sein halbes Leben lang, und täglich, mit der Bahn fährt, ist diese Dichtung mehr als Nostalgie. Jedenfalls ertrage ich lieber noch zwei, drei Tage die Nachteile des Streiks, als dass ich mental zum Streikbrecher werde. HANS RAAB, Neustadt
Guter Einsatz
■ betr.: „Muss das sein?“, Pro und Contra GDL-Streik, taz vom 6. 5. 15
Richard Rother kritisiert, dass es der GDL bei dieser Tarifauseinandersetzung nicht ausschließlich um die Lokführer geht, sondern auch um Tarifverträge für bei ihr organisierte Schaffner, Rangierlokführer und das Speisewagenpersonal. Wurde den Piloten und den Krankenhausärzten nicht vorgeworfen, nur eigene Interessen zu vertreten, während ihnen die Stewards und Stewardessen beziehungsweise Pflegerinnen und Pfleger egal sind? Jetzt streikt mal jemand für andere mit, die im „selben Boot“, besser Zug, sitzen, und nun ist es auch wieder nicht recht! Und die aufgeführten Gleisbauer (vermutlich durch Werkverträge mit Gleisbaufirmen wie Leonhard Weiss abgeschafft, zuständig IG Bau, Agrar, Umwelt), Reinigungskräfte (outgesourct, zuständig Verdi), Lokschlosser (ersetzt durch Wartungsverträge mit der IG Metall zuzurechnenden Firmen) und Verwaltungsfachleute (Verdi zuzurechnen) sind vermutlich nicht bei der GDL organisiert.
Warum erheben Sie nicht den Vorwurf, die GDL streikt auch nicht für die prekär Beschäftigten in den Imbissbuden der Bahnhöfe? Für diese ist meine Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) zuständig und nicht die GDL. Dass diese inzwischen wenigstens auf einen (zu niedrigen) Mindestlohn Anrecht haben, ist übrigens nicht dem Einsatz der lobend erwähnten IG Metall oder Chemie zu verdanken, sondern wurde von der NGG nach den Hartz-IV-Gesetzen auf die politische Agenda gehoben.
Die im „Nein“ gerühmten Großgewerkschaften (35-Stunden-Woche, Altersteilzeit, arbeitsfreier Samstag, welche übrigens nur für deren Mitglieder gelten) werteten, außer Verdi, den Mindestlohn als Angriff auf ihre Tarifautonomie und wollten für diese Kollegen nichts tun. „Nicht Streik und Krawall sind entscheidend …“, sagen Sie. Auch der Kampf der IG-Metall um ihre 35-Stunden-Woche dauerte nach meiner Erinnerung ca. harte zwei Monate mit Aussperrung. Ich finde den Einsatz der GDL für andere Berufsgruppen als „ihre“ Lokführer als Bahnfahrer und Autonichtbesitzer gut und akzeptiere die damit verbundenen Einschränkungen, die Fahrpreiserhöhungen gibt es sowieso. Und wenn der Bierpreis steigt, weil die NGG mehr Lohn will, ja, dann bin ich in Herrn Rothers Logik als Brauereibeschäftigter mitschuldig, dass der Suff mehr kostet. WOLFGANG SCHMIDT, Stuttgart
Streik muss wehtun
■ betr.: „Muss das sein?“, Pro und Contra GDL-Streik, taz vom 6. 5. 15
Och nee, taz, statt den Kasten leer zu lassen mit dem Hinweis, der/die LeserIn möge die Contra-Lokführer-Gewerkschaftsargumente bitte einem beliebigen anderen Medienerzeugnis entnehmen, ein Loblied auf den DGB und die harmonische Sozialpartnerschaft (Hinweis für Jüngere: Googelt mal „Neue Heimat“, hat nichts mit den „Vertriebenen“ zu tun). Die großen DGB-Gewerkschaften haben ihre Lieblingsbereiche und seit Jahrzehnten erhebliche Rückstände beim Mindestlohn, bei Lohndiskriminierung von Frauen usw. aufzuarbeiten.
Ich warte noch auf den Streik, bei dem die Arbeitgeber zu Beginn sagen: „Ja, das ist jetzt mal wirklich notwendig.“ Vielleicht, wenn es um die nächste Millionenerhöhung für den Vorstand geht, die die Arbeitnehmervertretung von VW (DGB-Gewerkschaft) immer mit abwinkt.
Und wo, bitte, soll ein Lokführerstreik stattfinden, damit er weh tut und Wirkung hat? Vielleicht hinten bei den Dampfloks der Museumsbahnen? Und, liebe taz, da du uns doch regelmäßig mitteilst, in welcher gesellschaftlichen Gruppe in den letzten 20 Jahren die wirklichen Vermögenszuwächse stattgefunden haben, veröffentliche doch mal ein paar Zahlen: Lohngruppen bei der Bahn und andere. Für das Geld, das Herr Pofalla für seine höchst überflüssige Tätigkeit im Vorstand der Bahn bekommt, könnten vermutlich 10.000 Bahnbeschäftigte 100 Euro mehr pro Monat verdienen.
HAJO GREVELER-GO, Münster
Böse Spaltung
■ betr.: „Der notwendige Streik“, „Muss das sein?“, taz v. 5. und 6. 5. 15
Ich finde es doch sehr verwunderlich, dass es in der taz immer noch Sympathien für Herrn Weselsky und den derzeitigen GDL-Streik gibt. Die GDL-Führung setzt grundlegende Regeln auch des Streiks außer Kraft. 1. Das primäre Anliegen jedes Streiks ist stets, Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, damit dieser angemessene Löhne und Gehälter zahlt, damit Arbeitszeiten und -bedingungen human sind. Nur dadurch, dass ein möglichst großer Teil der Belegschaft gemeinsam Druck ausübt, können Verbesserungen erreicht werden. Durch den GDL-Streik wird aber zusätzlich ein weiterer Druck ausgeübt – gegen die konkurrierende Gewerkschaft EVG, indem nämlich für GDL-Mitglieder bestimmter Berufsgruppen ein anderer Tarifvertrag erstreikt werden soll als für EVG-Mitglieder der gleichen Berufe. Das ist das Schlimmste, was eine Gewerkschaft tun kann: nämlich die Spaltung der Belegschaft zu fördern.
2. Natürlich ist der Druck gegenüber dem Arbeitgeber wichtig, aber bei jedem Tarifabschluss ist es entscheidend, dass beide Seiten Kompromisse machen und aufeinander zugehen. Herr Weselsky jedoch lehnt jeden Vorschlag vonseiten der Bahn ab, ohne ihn zu prüfen. Auch ein Schlichter wird nicht akzeptiert. Man sollte sich mal fragen, wie viel besser die Lokführer bereits jetzt stünden, wenn die GDL schon früher Kompromissbereitschaft gezeigt hätte.
3. Herr Reeh meint, dass DGB-Gewerkschaften sich zu wenig um prekär Beschäftigte kümmert. Das mag sein. Das scheint mir aber bei der GDL nicht anders zu sein. Gestreikt wird vor allem für Lokführer und ähnliche Berufsgruppen der Deutschen Bahn. Wie sieht es aber mit den Privatbahnen aus? Wenn die GDL beweisen wollte, dass sie wirklich für Prekäre eintreten würde, dann sollte sie sich in „GDLB“ (Gewerkschaft der Lokführer und Busfahrer) umbenennen und sich für die Fernbusfahrer der privaten Gesellschaften einsetzen.
4. Noch ein Wort zum geplanten Tarifeinheitsgesetz: Vielleicht würde eine Anpassung der Bestimmung über Urabstimmungen etwas bringen. Danach müssten Streiks durch eine Urabstimmung legitimiert werden, bei der eine qualifizierte Mehrheit der gewerkschaftlich organisierten Mitglieder aller Berufsgruppen, für die Anliegen in diesem Streik vertreten werden, für den Streik stimmt. Dann könnten zwar die Lokführer der GDL nach wie vor einen Streik für ihre Forderungen durchsetzen. Hinsichtlich der Zugbegleiter wäre die GDL jedoch gezwungen, im Vorfeld von Streiks eine Einigung mit der EVG zu erzielen. HARTMUT NEUBAUER, Köln
LESERINNENBRIEFE
Guter kapitalistischer Brauch
■ betr.: „Ein schlichter Arbeitskampf“, taz.de vom 5. 5. 15
Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger meint, wenn eine Kleinstgewerkschaft wie die der Lokführer ein ganzes Land erpresse, müsse eine Zwangsschlichtung für Bereiche der öffentlichen Daseinsfürsorge im Streikrecht eingeführt werden. Solche Aussagen sind eine Frechheit. Diese Politiker haben unter dem neoliberalen Dogma für die Privatisierung der „öffentlichen Daseinsfürsorge“ in weiten Bereichen gesorgt! Sie haben zu verantworten, dass sich Schlüsselgewerkschaften wie die GDL auf ihre Marktmacht besinnen – immerhin guter kapitalistischer Brauch! – Es ist jener etatistische „Neoliberalismus“ am Werk: Geht es um Verantwortung der Kapitalisten, werden „schlanker Staat“ und Deregulierung propagiert. Für die Unterdrückung der Ausgebeuteten ist aber der Staat immer noch gut genug. ALBRECHT POHLMANN, taz.de
Kleiner Kuchen
■ betr.: „Muss das sein?“, Pro und Contra GDL-Streik, taz vom 6. 5. 15
Herr Rother scheint nur seine eigenen Artikel zu lesen. Sonst hätte er festgestellt, dass die Ungleichheit zwischen Reich und Arm in Deutschland und der restlichen Welt stetig wächst. Daran ändert auch die 35-Stunden-Woche nichts. Tatsächlich hätten nicht nur die Lokführer Grund zum Streiken. Vielleicht sollte Herr Rother einmal über die Arbeitnehmer mit dem Mindestlohn schreiben. Gemäß seiner Theorie werden diese Löhne sofort nach dem Scheitern des Streiks der GDL angehoben. Es bleibt ja dann vom Kuchen mehr für sie übrig. Vielleicht könnte er aber auch darüber nachdenken, ob es sein könnte, dass der von den Unternehmern gebackene Kuchen gar klein und luftig geraten ist. PAUL BIOTTI, Sennhof, Schweiz
Personalisierung
■ betr.: „Muss das sein?“, Pro und Contra GDL-Streik, taz vom 6. 5. 15
Es streikt nicht Claus Weselsky und er hat auch nicht mit der Waffe in der Hand Tausende Lokführer dazu gezwungen! Diese Personalisierung ist ziemlich unerträglich! Offenbar haben die Streikenden selbst Gründe, die mit dem Streik verbundenen Einbußen auch für länger hinzunehmen. Schließlich haben sie mit der erforderlichen großen Mehrheit dafür gestimmt. Übrigens ist auch der Hinweis auf die „Willfährigkeit“ der EVG ein eher blödes Argument: ZugbegleiterInnen und Servicemitkräfte haben weniger Durchsetzungsmacht, weil es weniger weh tut, wenn sie streiken. Also müssten sie länger streiken, und dafür findet sich nicht so leicht eine ähnliche Mehrheit.
PETER HERHOLTZ, Ahrensburg
Wer soll das alles bezahlen?
■ betr.: „Lokführer streiken weiter“, taz.de vom 7. 5. 15
Herr Weselsky hat bis heute nicht erklärt, weshalb seine GDL separate Tarifverträge braucht. Weshalb kann sich die GDL mit der EVG nicht auf gemeinsame Forderungen einigen und mit diesen gemeinsam dem Arbeitgeber entgegentreten? So wie es bisher bei der Bahn war und in anderen Branchen nach wie vor ist? Stattdessen werden die Bahnkunden durch den Streik förmlich gezwungen, sich nach Alternativen umzusehen. Nicht alle werden später zur Bahn-AG zurückkehren! Falls sich allerdings die GDL mit ihrer Forderung nach eigenen Tarifverträgen auch für das übrige Zugpersonal durchsetzen sollte, dürfte der Ärger für die (verbliebenen) Bahnkunden erst richtig beginnen: Angenommen, die EVG stellt ihre Tarifforderungen, dann wird die GDL kommen und xx Prozent mehr fordern, man will sich ja profilieren. Also muss die EVG nachziehen, sie will ja keine Mitglieder an die Konkurrenz verlieren. Und wer wird das alles bezahlen? Richtig, der Bahnkunde! Und falls sich die Bahn AG hartleibig stellt? Na, dann wird eben gestreikt, notfalls abwechselnd GDL und EVG. Pfanni, taz.de