LESERINNENBRIEFE :
Die Risiken sind verschieden
■ betr.: „Massengrab auf See“, taz vom 18. 1. 12
Danke für diese traurige und gute Titelseite! Danke für diesen guten und Fakten miteinander verknüpfenden Kommentar, in dem es Dominic Johnson gelingt, Opfer nicht gegen Opfer zu rechnen, sondern deren Leid nebeneinander respektvoll zu benennen!
Kritisch anzumerken ist, dass Menschen aus Deutschland ihren Urlaub nicht nehmen, um auf Schiffen ähnliche (teure und unsichere) Fahrten zu machen wie Flüchtende! Diese Parallelen sind absurd angesichts der Preise, des Wohlstands, des Konsums, des Vergnügens und der insgesamt geringen Risiken für die Urlaubenden – und angesichts der Ursachen von Flucht!
Bei den flüchtenden Kindern, Frauen, Männern geht es um den Versuch des „nackten“ Überlebens. Diesen Versuch bezahlen sie oft mit einem qualvollen Tod, nachdem sie und ihre Familien zum Teil von Schleppern vollständig ausgesaugt wurden! Auch sind unter den flüchtenden Menschen gewiss keine Abenteurer aus Ländern mit Hunger, Ausbeutung, Leid, Krieg! Es sind Menschen, die um das „Massengrab auf See“ wissen, sich aber an die Hoffnung klammern, in einem reichen, aber ausgrenzenden (Frontex) und ausbeutenden (Fluchtgründe) Europa doch vielleicht lebend stranden zu können! KATHY CZAJA, Düsseldorf
Grundvertrauen ist nötig
■ betr.: „Privatjustiz im Hinterzimmer“, taz vom 16. 1. 12
Bei vielen Streitigkeiten ist die „Mediation“ ja durchaus erwünscht – vielleicht könnte da die Mehrheitsgesellschaft sogar noch was von den „Friedensrichtern“ lernen. So unüblich sind parallele Gremien auch hier nicht: Es gibt eine Militärgerichtsbarkeit, eigene kirchliche Gerichte und so manche weitere große Organisation besitzt eigene Streitschlichtungsverfahren.
Wenn sich Leute nicht der deutschen Justiz anvertrauen, so hat das Gründe, die man zum Teil auch dort finden kann. Viele Migranten bezweifeln zum Beispiel, ob die ihnen wichtigen kulturellen Werte auch wirklich vor Behörden und Gericht berücksichtigt und gewürdigt werden. Zusätzlich wirkt das schikanöse Behördendeutsch nicht gerade sehr einladend.
Dann finden auch noch besondere Ausländerparagrafen Anwendung: Man wird unter bestimmten Bedingungen nach Abbüßung seiner Strafe zusätzlich mit Abschiebung bestraft, und einmal Verurteilte haben später geringere Chancen auf einen gesicherten Aufenthaltstitel. Dazu gibt es noch die große Gruppe der Menschen ohne legale Papiere. Von denen kann man wohl kaum erwarten, dass die sich den deutschen Behörden ausliefern.
So entsteht das Gefühl, dass die Justiz der Mehrheitsgesellschaft für die Migranten nicht fair und akzeptabel ist. Und der Aufbau dieses Grundvertrauens ist nötig: Nur dann werden sie bei den Friedensrichtern eine saubere Trennlinie ziehen zwischen der positiven Streitschlichtung bei alltäglichen Dingen und der kriminellen Strafvereitelung bei Verbrechen. RAINER SONNTAG, Essen
Äpfel mit Birnen verglichen
■ betr.: „Implantate außer Kontrolle“, taz vom 13. 1. 12
In der taz ist zu lesen „Stents helfen keineswegs, im Gegenteil, sie schaden und zwar massiv“. Beweisen soll diese gewagte These eine medizinische Studie an 450 Personen, die keine Reduktion von Schlaganfällen nach Stentimplantationen zeigen konnte.
Grundsätzlich richtig ist, Medizinprodukte unterliegen in Europa keiner ausreichenden Qualitätskontrolle. Richtig ist auch, dass Stents, welche man heutzutage als Routineeingriff in verschiedene verengte Arterien des Körpers (Herzkranzarterien, Beinarterien, Darmarterien und auch Halsarterien) einsetzten kann, nicht unbedingt einen Vorteil gegenüber der sogenannten konservativen, medikamentösen Therapie haben müssen. Daher wird das Thema auch in Fachkreisen kontrovers diskutiert, und zwar seit Einführung dieser Technik. (Im übrigen hat die Studie im NEJM sehr wohl zu heftigen Diskussionen in Deutschland geführt, aber nicht weil das Produkt fehlerhaft ist.) Das eine hat mit dem Anderen jedoch nichts zu tun.
Das Problem der fehlenden Nachweisbarkeit eines Vorteils von Stents ist das hohe kardiovaskuläre Risiko, welches die betroffenen Patienten sowieso haben, das heißt, ihr Überleben ist generell sehr viel schlechter und die schlechten Gefäße führen bei Implantationen leider häufig dazu, dass Plaques reißen und es zu einem Schlaganfall kommt. Nur welche ist die Alternative im Notfall?
Tausenden von Patienten hat die Einführung von Koronarstents das Leben durch die Verhinderung eines Herzinfarktes bzw. die Wiederherstellung der Perfusion bereits gerettet. Diese Eingriffe erfordern immer eine entsprechende Indikation und das vorsichtige Abwägen des Für und Wider. Was bitte hat diese Diskussion mit fehlerhaften Medizinprodukten wie bei den Brustimplantaten zu tun? Hier wird auf ein aktuelles Thema „draufgesprungen“, indem Äpfel und Birnen reißerisch verglichen und Folgerungen gezogen werden, die absolut unzulässig sind und verunsichern. KATJA SCHIPPEL, Saarbrücken