LESERINNENBRIEFE :
Ein Zeichen der Repression
■ betr.: „Glaube. Ein zentrales Zeichen“, taz vom 28. 6. 12
Statt wie Philipp Gessler von Beschneidung als zentralem Zeichen für den Bund zwischen „Gott“ und Mensch zu faseln, wäre es im Sinne von Aufklärung weit sinnvoller, dieses Zeichen sozialpsychologisch und psychoanalytisch aufzuschlüsseln. Die Redeweise vom Bund zwischen „Gott“ und seinem Volk Israel ist – entmythologisiert (Rudolf Bultmann) – zunächst einmal eine Wunsch- und Fantasievorstellung der Israeliten im babylonischen Exil (Gott „spricht“ nicht). Im heutigen gesellschaftlichen Kontext ist sie unsinnig und – mehr noch – in Form der Beschneidung ein Zeichen der Repression: Eingliederung in ein Volk/eine Religionsgemeinschaft geschieht – so auch im Islam und im frühen Christentum – zwangsweise durch eine symbolische Kastration von „allem, was männlich (!) ist“ (Genesis 17,12).
Wenn nach dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden jüdisches Leben in Deutschland ohne Beschneidung nicht mehr möglich sei (was blödsinnig ist), dann wäre jüdisches Leben tatsächlich nicht mehr erhaltenswert. Und wenn eine Lehrerin für Islamkunde meint, Beschneidung sei im Islam „Teil der männlichen Identität“, dann dürfte sich ein Verzicht auf einen symbolischen Kastrationsakt nur positiv auf die männliche Identität auswirken. In jedem Fall Unfug ist die Behauptung vom Zentralrat der Muslime, die Religionsfreiheit sei durch das Kölner Urteil gefährdet, geht es doch darum, Religionsfreiheit überhaupt erst zu ermöglichen, indem den Religionen untersagt wird, Minderjährigen eine bestimmte religiöse Identität in den sensibelsten Bereich ihres Körpers unauslöschlich einzuschreiben.
Einen Makel hat das Kölner Urteil nur. Es bezieht sich notgedrungen nur auf die Religionen von Minderheiten und nicht auf die christliche Mehrheitsreligion. Doch diese – zumal in ihrer katholischen Variante – weiß sehr wohl, dass der aufklärerische Hintergrund des Urteils sie ebenso trifft wie Judentum und Islam. Kein Wunder also, dass die katholische Bischofskonferenz das Urteil unisono mit den beiden unmittelbar betroffenen Religionsgemeinschaften als Gefährdung der Religionsfreiheit kritisiert.
MICHAEL STOFFELS, Kempen
Skandalös
■ betr.: „Mehr Migranten in Deutschland“, taz vom 28. 7. 12
Abgesehen davon, dass ich die Kernaussage (dass einerseits der Anstieg der Neuzuwanderer in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren stärker als in anderen OECD-Ländern und gleichzeitig die Anzahl derselben niedriger als in anderen großen OECD-Ländern war) sehr umständlich formuliert finde, halte ich das Bild zum Text für skandalös. Es hat Bild-Niveau, wenn die Aussage, der größte Teil der Neumigranten in Deutschland stamme aus Polen, Rumänien, Bulgarien und Ungarn mit einem Bild von in Teneriffa gestrandeten westafrikanischen Boat People illustriert wird. EVA-M. BRUCHHAUS, Köln
Diskutieren
■ betr.: „Geld drucken schadet nicht“, taz vom 22. 6. 12
Vielleicht vor allem dann, wenn es bei den Vermögenden und den Banken bleibt. Der Rat, es einfach zu den Armen umzuleiten, sollte diskutiert werden. Es ist der Rat aus der Wirtschaftsabteilung der Zeitung. Und solange der nicht vom Umweltteil gegengezeichnet ist, ist er in Gefahr zu degenerieren, weil nicht zukunftsfähig/nachhaltig. Auch wir in den industrialisierten Staaten brauchen mehr Gerechtigkeit, wollen aber auch überleben. Vor mehr Konsum, quantitativem Wachstum, sollte uns allen grauen. Immerhin sind Wirtschaft und Umwelt bei der taz schon auf einer Seite vereint. KLAUS WARZECHA, Wiesbaden
Stoppt den Irrsinn!
■ betr.: „Nato verurteilt Abschuss von Kampfjet“, taz vom 27. 6. 12
Der türkische Ministerpräsident Erdogan zündelt, und keiner will ihn stoppen! Im Gegenteil: Die Nato verurteilt den Abschuss eines türkischen Aufklärungsflugzeugs durch das syrische Militär „aufs Schärfste“. Der türkische Premier Erdogan droht für den Wiederholungsfall mit militärischen Reaktionen. Es ist die Abfolge einer inszenierten Dramaturgie. Nachdem die westlichen Staaten keine Übereinkunft mit Russland und China im Weltsicherheitsrat erreichen konnten, wird der Krieg herbeidefiniert. Erdogan darf für die USA den Vorreiter spielen.
Gewalt ist keine Lösung für Konflikte, Krieg ist nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln! Nach den bisherigen Erkenntnissen sind Deutschland und die USA die einzigen westlichen Länder, die über die notwenigen militärischen Mittel (Stichwort ECR-Tornados) verfügen, um die hoch gerüstete syrische Luftverteidigung (40.000 Soldaten!) zu bekämpfen. Wie lange wird es wohl dauern, bis die Nato nach dem Einsatz der deutschen ECR-Tornados verlangen wird, wenn Erdogan seine Bomber losschickt? Die Türkei hat bereits den Nato-Rat eingeschaltet und die Vorbedingungen für den sogenannten Bündnisfall abgeklopft. Stoppt den Irrsinn! Jetzt!
RAIMUND SCHORN-LICHTENTHÄLER, Datteln