LESERINNENBRIEFE :
Süßliches Geschreibe
■ betr.: „In Your Face!“ u. a., EM-taz vom 30. 6. 12
Also, bei diesem und jenem nimmt das Geschrei über Balotelli hysterische Züge an, und das Gesülze über zerbrochene Ketten, Unbeugsamkeit des Sklaven, der seinen Geist nicht hat unterwerfen lassen usw., nervt ungeheuer. Solidarität mit rassistisch Verfolgten: immer ehrenwert und überdies immer notwendig. Empathie mit schwarzen Emigranten: dito. Noch besser: tätige Hilfe, nicht wegsehen, schreien und eingreifen, wenn’s irgendwo passiert. Bedingungsloses Stadionverbot für Nazis.
Aber das süßliche Geschreibe über einen Fußballer, der mal, weil er Lust dazu hatte, großartig präsent war und in einem Spiel vieles richtig gemacht hat (was in der gegnerischen Mannschaft zu diesem Zeitpunkt grade mal niemand konnte), ist so was von daneben. „Er hat das Trikot von sich geworfen, das ihn zur Nummer machte“, „ein großer Fußballer und ein großer Mensch, hat in seiner Geste die Geschichte des doppelten Rassismus in Italien und seine Haltung dazu festgehalten“ – der Mann ist Fußballer! Fußball ist ein Geschäft, in dem es ausschließlich um Geld geht. Das Geschäft funktioniert deswegen so gut, weil wir, die wir gerne zusehen, projizieren wie die Weltmeister und das Element von Spiel und Wettbewerb sehen wollen, nicht das hässliche Millionengeschacher. Stimmt nicht ganz: mittlerweile hat es sich ja zusätzlich bereits eingebürgert, die Summen für die verkauften Spieler als Entsprechung für deren Qualität zu sehen.
Und die Gesten! Das was Balotelli da macht, eine „Geste des stolzen Sklaven“? Ein „Bild von Unbeugsamkeit“? Geht’s noch? Man sehe sich dann mal die widerlichen Präsentationen der Bodybuilder an, alles stolze Gesten der Unbeugsamkeit? Wohlverstanden: Ich würde Balotelli den Gebrauch der Bodybuilder-Geste nie vorwerfen, auch wenn ich sie dämlich finde oder schade, dass er keine andere zur Verfügung hat. Genau so, wie ich dem Becker seine idiotische Beckerfaust-Geste nicht vorgeworfen, aber sie immer scheußlich gefunden habe. Von Ronaldos Gesten ganz zu schweigen.
Eine Geste, die ich nachvollziehbar finde und lustig, ist der verrückte Freudehaufen nach einem Tor, und eine, die unvermittelt und genau Freude ausdrückt, ist die von Klose: sein Salto, den er leider schon lange nicht mehr gezeigt hat. REINER HANKE, Freiburg
Kraftvolles Bild
■ betr.: In Your Face!“, EM-taz vom 30. 6. 12
Und was blieb, bei aller Leere und Enttäuschung nach der Niederlage der deutschen Mannschaft, war dieses überwältigende Bild, das Mario Barwuah Balotelli der Fußballwelt hinterlassen hat: Ein archaisches Bollwerk der Genugtuung und des Stolzes eines zutiefst verletzten und gedemütigten Menschen. Auch das lehrt mich der Fußball: Neben dem übermächtigen Wunsch nach Erfolg der eigenen Mannschaft die Vielschichtigkeit nicht aus den Augen zu verlieren und eindrucksvollen, nachhaltigen Statements Raum zu gewähren.
Danke an Mario Balotelli für das schönste, kraftvollste Bild dieser EM und Danke an die taz für diesen würdigen Nachklang.
GABRIELE MEIER-SESKE, Berlin
Voll daneben
■ betr.: „Die Geste verdient Respekt“, taz vom 3. 7. 12
Die Überschrift zum Kommentar anlässlich des Rücktritts von Heinz Fromm ist voll daneben. Denn auf der nächsten Seite erfahren die LeserInnnen, dass dieser Rücktritt eine Notwendigkeit war. Ein politischer Spitzenbeamter muss seinen Hut nehmen, wenn seiner Behörde strafrechtlich relevantes Versagen vorzuwerfen ist, und das alles nicht wegen einiger Lappalien, sondern wegen des Mordes an zehn Menschen. Für einen solchen notwendigen Rücktritt Respekt zu zollen, ist entweder naiv oder zynisch. Wenn sich Fromm einst gegen die Zusammenlegung der Abteilungen Rechtsextremismus und Linksextremismus aussprach, tat er nichts anderes als jeder Chef, dessen Behörde verkleinert werden soll. MARTIN BREIDERT, Bad Honnef
Der Blick aufs Ganze
■ betr.: „Die Geste verdient Respekt“, taz vom 3. 7. 12
Der Kommentar zum heutigen Titelthema von Wolfgang Gast wird der Sache in seiner Differenziertheit gerecht. Der Untertitel des Titelfotos leider nicht. Ich finde, da sollte der Blick aufs Ganze im Vordergrund stehen und nicht die Lust an einer Sensation: Fromm scheint mir nicht der „Aktenfresser“ der Behörde gewesen zu sein …
THOMAS KLEIN, Aachen
Was für ein Herumgeeiere
■ betr.: „Operation Reißwolf“, taz vom 29. 6. 12
Was für ein Herumgeeiere von Organen, die sich „staatsschutzrelevant“ nennen und auf ihrem „rechten Auge“ jahrzehntelang blind waren und immer noch sind!! Wo sind sie denn nach dem Krieg alle die Gestapo-Agenten verblieben? Viele wurden „Wendehälse“ und sind als solche wieder reaktiviert und in unseren neuen „Geheimbehörden“ infolge „Reha-Maßnahmen“ eingestellt worden! Nur so kann ich mir die ständigen Pannen und Behinderungen von Aufklärungen über die vielen erfolgten Anschläge und Attentate gegen Andersdenkende erklären. Wenn man bei den Fahndungen nach den sog. RAF-Terroristen ebenso „geschlampt“ hätte, hätten diese Behörden keinen einzigen davon gefunden! Also weg mit dieser Behörde! Das spart Geld! GEBHARD MACK-REISER, Burladingen