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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE Schwerer Weg nach Europa

In Frankfurt am Main lässt die konservativ-liberale Landesregierung Protestierende stundenlang einkesseln. In der Türkei lässt die religiös-konservative Regierung Demonstranten niederknüppeln. Ist die Türkei jetzt doch Europa-tauglich?

Ängstliche Polizei

■ betr.: „Eklat wegen Polizeigewalt“, taz vom 4. 6. 13

Als Teilnehmer an der Demonstration musste ich miterleben, wie die Polizei außer Rand und Band brutal gegen die Demonstranten vorging und uns das Demonstrationsrecht nahm; und jetzt auch noch die sogenannten Erklärungen unseres Innenministers und unserer Polizeiführung. Diese Herren haben also Angst vor Regenschirmen, Schaumstoffplatten und Böller. Wenn Leute in solch verantwortungsvollen Posten solche Ängste haben, sind sie vermutlich hoffnungslos überfordert. Überforderung bei Führungskräften hat in der Regel schlimme Folgen für die Personen selbst als auch für die Menschen, die ihrer Führung unterliegen, und immer wieder auch für Außenstehende. Man muss sie zum Schutz aller von ihren Aufgaben entbinden. Sollte das nicht geschehen, könnte es durchaus sein, dass bei der nächsten Demonstration sich die Polizeiführung auf eine Untersuchung stützt, nach der Gewalttaten mehrheitlich von dunkelhaarigen Personen ausgeführt werden und deshalb jede Demonstration, an der Dunkelhaarige teilnehmen, verboten werden muss. ELMAR HAHN, Langen

Scheinheilig

■ betr.: „Frankfurter Verhältnisse“, taz vom 4. 6. 13

Verheugen forderte die Bundesrepublik auf, der Türkei müsse klargemacht werden, „dass zur Demokratie auch Toleranz gegenüber Andersdenkenden sowie Meinungs- und Versammlungsfreiheit gehören. Das muss auch der hessischen Regierung im eigenen Land klargemacht werden. Es ist unglaublich, was in diesem angeblich demokratischen Land passieren kann, das dann auch noch scheinheilig anderen Staaten klarmachen soll, was Demokratie heißt! Die anderen Staaten verfolgen sehr genau, was in Deutschland, die Demokratie betreffend, geschieht. Hoffentlich hat diese diktatorische Frechheit des hessischen Innenministers ein gerichtliches und politisches Nachspiel. ANGELIKA-MARIA LEUCHS, Finnland

Lauer Bericht

■ betr.: „Eingekesselt und aufgelöst“, taz vom 3. 6. 13

Die taz berichtet gerne ausführlich und mit Verve über Grundrechtsverletzungen, sofern sie denn im Ausland stattfinden. Hierzulande gelten anscheinend andere Erregungsstandards. Aufgrund des zeitlichen Zusammentreffens war das in der Montagsausgabe besonders eindrucksvoll zu beobachten. Zwei Seiten engagierte Artikel rund um den Taksim-Platz, auf Seite 5 dann eine Drittelseite laue Berichterstattung zu Frankfurt, wo zehntausendfach Grundrechte mit Füßen getreten wurden. Bei der ansonsten recht vollständigen Aufzählung der Demoteilnehmer wird dann noch die Linke verschwiegen, welche als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien anwesend war – in unübersehbarer Masse. Vielleicht folgerichtig in einer Zeitung, für die die Opposition in der Regel nur aus SPD & Grünen besteht. STEFAN KRUPP, Bonn

Gefesselt, verletzt

■ betr.: „Sehen, wie die Freiheit schmeckt“, taz.de vom 5. 6. 13

Die Regierung um Erdogan scheut sich scheinbar seit der internationalen medialen Aufmerksamkeit, hart gegen die Demonstranten vorzugehen. Noch mehr Tote und Verletzte und ein Einstampfen der Bewegung mit Gewalt wird wohl gerade bewusst vermieden oder auch nur verschoben. Man fürchtet um sein internationales Ansehen und hat wohl auch Angst, die Protestbewegung könnte sich unkontrolliert ausweiten, wenn von staatlicher Seite massiv Gewalt ausgeübt wird. Erfreulich, dass es noch keine Versuche gibt, den Platz komplett zu räumen. In Deutschland wäre das schon anders. Unangemeldete Versammlung. Störung der öffentlichen Ordnung. Behinderung des Verkehrs. Da darf es sich der Demonstrant dann nur noch aussuchen, ob er nach Aufforderung geht oder gefesselt und verletzt davongetragen werden möchte. Ein kurzer Aufschrei in der Öffentlichkeit nach den ersten Gewaltexzessen der Polizei, Verallgemeinerungen und Ablenkungen der Yellow Press, eilige Relativierungen unserer Intellektuellen und die Sache ist vom Tisch. Über die Verhältnisse, taz.de

Großes Potenzial

■ betr.: „Sehen, wie die Freiheit schmeckt“, taz.de vom 5. 6. 13

Die Türkei darf auf keinen Fall Teil der EU werden. In diesem Land steckt so viel mehr Potenzial. Jetzt müsste aber noch Aufklärungsarbeit in der Provinz stattfinden. Etwas verklärt (und leider wohl weit weg von der Realität) erinnere ich mich da an die anarchistischen Bewegungen in Spanien vor Franco. Humankapital, taz.de

Bürgerrechte?

■ betr.: „Erdogan bleibt stur“, taz.de vom 6. 6. 13

„Die Bundesregierung forderte die türkische Regierung erneut auf, angemessen mit protestierenden Bürgern umzugehen.“ Vielleicht sollte die Bundesregierung auch mal das eine oder andere Wort mit der hessischen Regierung wechseln. Aber wir haben ja schon bei den Amis gelernt, dass man die Einhaltung der Bürgerrechte nur von anderen fordert. hopfen, taz.de

Assad-Rhetorik

■ betr.: „Geht nach Hause“, taz.de vom 7. 6. 13

Ohne direkt vergleichen zu wollen, da Erdogan nun mal eine handfeste demokratische Legitimation hat: Es ist erstaunlich, wie sehr seine Rhetorik der von Assad gleicht. Da werden die Demonstranten ruckzuck zu „Terroristen“, die von ausländischen Agents Provocateurs zu „Anschlägen“ angetrieben werden. Paulityp, taz.de

Freiheit für alle

■ betr.: „Sehen, wie die Freiheit schmeckt“, taz.de vom 5. 6. 13

Es ist nicht wie Tahrir hier. Niemand will unter der Militärjunta leben. Die Türkei hat das schon erlebt und weiß, dass es fürchterlich für die Leute ist. Wir wollen Freiheit und Demokratie im Staat nicht nur für Muslime, Türken oder Militär, sondern für alle (Presse, Kurden, Armenier, Aleviten, Schwule, Frauen, Kinder, Alkoholiker usw.). Übrigens gehört die Garanti Bank, deren Chef Ergun Ozen sich jetzt zur Taksim-Bewegung bekennt, zur Dogan Holding, dem größten Anhänger der Regierung. Also: „Stop bulshitting!“ warm, taz.de

Provokation

■ betr.: „Mit Wucht in die Kamera“, taz vom 5. 6. 13

Zwischen „Buntem Block“ und schwarzem Polizeiblock konnte ich meine Beobachtung während der gesamten Blockupy-Kesselung machen. Auffallend war die dauernd zur Schau gestellte provokante Aufstellung des schwarzen Polizeiblocks (Pfefferspraydosen betriebsbereit positionieren, quarzbeschichtete Handschuhe straffziehen) gegenüber den Demoteilnehmern. Im Kessel konnte ich kein Antikonfliktteam der Polizei erkennen, dafür zig Polizisten. Die Bunte-Block-SprecherInnen hielten ihre Leute über den Lautsprecherwagen auf dem Laufenden, ebenso hielten sie gute Musik parat, was beruhigend auf die Gekesselten wirkte. Respekt, das hat gut geklappt!

DORIS STEIDLE, Ditzingen