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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Reaktionäre Schulsegregation

■ betr.: „Aus Brennpunktschulen das Beste machen“, taz v. 19. 7. 13

Der Vorschlag, die rapide zunehmende Segregation an unseren Schulen einfach so weiter laufen zu lassen und die damit belasteten Schulen mit dem Ratschlag „das Beste daraus zu machen“ abzuspeisen, widerspricht nicht nur allen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern ist zudem reaktionär. Seit in den 60er Jahren in den USA dieses Problem gerichtlich behandelt wurde, ist der „Kontext“-Effekt wissenschaftlich bewiesen: Die Kinder mit wenig Bildungsansprüchen in ihrem Elternhaus werden von denen mit viel Ansprüchen in ihrer Klasse mitgezogen, nicht umgekehrt. Segregation führt zur Bevorteilung der bildungsnahen Elternhäuser. Deswegen war es eines der wichtigsten Anliegen nach der deutschen Revolution von 1918, die allgemeine Grundschulpflicht einzuführen, um endlich die Kinder der Wohlhabenden in gemeinsame Grundschulklassen mit den Kindern aus anderen Bevölkerungsschichten zu zwingen.

Das wird jetzt durch die Aufhebung der Einzugsbezirke der Grundschulen, die „freie Wahl“ und die Gründung von privaten Grundschulen aufgegeben. In Bezug auf die höheren Schulstufen setzt sich allmählich die Erkenntnis durch, dass integrierte Gesamtschulen, in denen alle Leistungsklassen in gleichmäßigen Anteilen vertreten sind, mehr Kindern zu mehr Bildung verhelfen als das dreigliedrige System. Das gilt natürlich auch für den Migrantenanteil. Die einzige Lösung ist, alle Schulen möglichst gleichmäßig mit vorurteilsbehafteten Schülern zu versehen und vor allem die freie Grundschulwahl einzuschränken. Das würde auch die völlig unterschiedliche und ungerechte Belastung der Lehrkräfte in den segregierten Schulen abmildern. VOLKER MÜLLER-BENEDICT, Göttingen

Wieder sterben Kinder

■ betr.: „Janusköpfiges Eisen“, taz vom 12. 7. 13

Vielen Dank für Ihren Ihren Artikel. Sie beschreiben, wie lebensgefährlich die Verabreichung von Eisentabletten in Malariagebieten sein kann. Was mich daran sehr erschüttert hat: Das ist seit Jahrzehnten bekannt. Udo Pollmer hat genau diese Zusammenhänge, und dass Kinder in Entwicklungsländern solche gut gemeinten Eisengaben mit dem Leben bezahlt haben, schon 1994 in seinem Buch „Prost Mahlzeit. Krank durch gesunde Ernährung“ sehr ausführlich dargelegt. Er bezieht sich dabei auf Erfahrungen und Studien, die in der Fachliteratur ab 1970 publiziert wurden. Insofern ist es ein Skandal, wenn im Jahr 2006 dasselbe aufs Neue versucht wurde und wieder Kinder gestorben sind, weil die Medizin der reichen Länder zu wissen glaubt, wie hoch die Eisenzufuhr sein muss, ohne die Zusammenhänge zwischen restriktiven Eisenspiegeln und Infektionsschutz verstanden zu haben. Obwohl man diesmal nicht einmal etwas hätte verstehen, sondern nur die einschlägige Fachliteratur zur Kenntnis hätte nehmen müssen. ELISABETH ADLOFF, Berlin

Vom Staat unethisch alimentiert

■ betr.: „Stabilisierender Effekt“, taz vom 27./28. 7. 13

Über das bedingungslose Grundeinkommen schreibt Ihr Autor Hannes Koch: „Es ist ethisch schwer zu begründen, warum jemand ohne Not Geschenke vom Staat erhalten soll.“ Welches Verständnis hat der Autor von Ethik? Es ist ethisch schwer zu begründen, warum eine absolute Minderheit Milliarden von Euro besitzen kann und die Arbeitnehmer seit Jahren von sinkenden Einkommen leben müssen. Also, die Milliardäre werden vom Staat ethisch unterstützt, damit sie ihre „Steuerlast“ nicht tragen müssen. Es ist ethisch schwer zu begründen, warum Beamte ohne eigenen Beitrag Pensionen erhalten und diese an die Tariferhöhungen des öffentlichen Dienstes gekoppelt werden. Rentner im Westen erhalten 2013 0,25 Prozent, Beamte 5,6 Prozent Erhöhung ihrer Bezüge. Also, die Beamten werden vom Staat wohl ethisch alimentiert. BERNHARDT FAASS Straubenhardt

Ortskern soll Bauland werden

■ betr.: „Die Kita und der Kampf um den Ortskern“, taz vom 25. 7. 13

Ja, die Wut köchelt und die Stimmung ist aufgeladen in Tostedt. Der Samtgemeindebürgermeister Bostelmann behauptet, die Anwohner denken, dass ihre Immobilien an Wert verlieren? Das zeigt deutlich, dass eine sachliche Diskussion und ein Abwägen von Pro und Kontra zum Standort Dieckhofstraße nach wie vor von vielen Politikern und der Verwaltungsspitze vermieden wird.

In Ihrem Bericht bleibt ein wichtiges Argument unerwähnt: Die Grundschulkinder der Schule Dieckhofstraße verlieren einen Großteil ihrer Schulhoffläche, die ja nicht nur als Spielfläche für die Pausen genutzt wurde. Diese Fläche diente bisher auch für den Sportunterricht, für die Fahrradausbildung der Grundschulkinder in Zusammenarbeit mit der Polizei im geschützten Schulbereich, für den Biologieunterricht in der freien Natur an der Töste und andere Bereiche des (Sach-)Unterrichts. Die Nachteile des denkmalgeschützten alten Schulgebäudes wurden bisher hier durch die in Tostedt einmaligen Möglichkeiten kompensiert. Die Attraktivität der Grundschule Dieckhofstraße wird zu Lasten der Grundschulkinder durch den Kitabau an dieser Stelle unwiederbringlich zerstört.

Leider fehlt auch in Ihrem Artikel ein Hinweis auf den Alternativstandort am Düwelshöpen. Dort hat die Gemeinde große eigene Flächen in direkter Nähe zu Schulen, Neubaugebieten (mit jungen Familien und kleinen Kindern), direkt am Wald und nahe am Bahnhof, also ideal für Eltern, die nach Hamburg „pendeln“. Hätte man dort die Kita gebaut, wäre aber die seit Langem angestrebte Möglichkeit, den historischen Ortskern von Tostedt zu Bauland zu machen, in weite Ferne gerückt. GÜNTHER KNABE, Tostedt