LESERINNENBRIEFE :
Pfarrer werden zu Schamanen
■ betr.: „Stoff des Glaubens“, taz vom 3. 5. 10
Philipp Gessler hält sich lange mit der Randfrage der Fälschung dieses Wundertuches auf und blendet darüber fast aus, was einen bei diesem Kult wirklich nur noch den Kopf schütteln lässt: nämlich die Haltung, die die Pilger zu diesem Stück einnehmen, oder zumindest die Haltung, die die Kirche ihnen nahelegt. Vor Jahren habe ich die betreffende Kirche in Turin besichtigt. Auf den Kniebänken im Halbrund waren für die weniger eigenständigen Gläubigen vorgefertigte Gebete als Andachtsempfehlung angebracht. Ich traute meinen Augen kaum, als ich sah, dass dort das „allerheiligste Leichentuch“ angefleht werden sollte um Hilfe, Beistand, Erleuchtung und sonst was. Wohlgemerkt: das Tuch selbst, nicht etwa der auferstandene Religionsstifter, an den man dabei erinnert werden könnte. Was denken sich da all die vielen modern denkenden, im Leben stehenden Kirchenmitglieder, die sich Brücken und Hilfskonstruktionen gebaut haben, mit denen sie jahrtausendealte Auffassungen über Leben, Natur und Gesellschaft mit heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Standards unter einen Hut bringen wollen? Da kommen unverfroren Pfarrer daher, die sich offenbar kein bisschen scheuen, sich auf eine Stufe mit Schamanen zu stellen, Kulte zu propagieren, die nichts anderes sind als die Verehrung von Amuletten und Totems. All die schönen Brücken in die heutige Zeit werden umgestoßen wie ein Kartenhaus, die dunkelste Vergangenheit feiert fröhliche Urständ.
STEFAN HOCK, Tettnang
Kleinbürgerlich
■ betr.: „Der perfekte Deutsche“, taz vom 5. 5. 10
Eine echt „staatstragende“ Entscheidung! Lieber kleinbürgerlich als global denken. Lieber Hartz IV bezahlen, als Steuern und Sozialversicherungsbeiträge annehmen. Das könnte sich speziell bei akademischen Berufen ja rechnen. Diese deutschen Bürokraten aus Ämtern und Vereinigungen sollte man dazu verurteilen, Sozialbeiträge an Leute wie Sherif Mikhail aus privater Tasche zu zahlen. Vielleicht fördert dies dann das Denkvermögen und lockert so manches Brett vorm Kopf. CLAUS KRETZSCHMAR, Itzehoe
Respekt fehlt
■ betr.: „Der perfekte Deutsche“, taz vom 5. 5. 10
Es ist wirklich traurig, dass die Deutschen es gut ausgebildeten Menschen schwer machen, eine ihren Fähigkeiten entsprechende Arbeit anzunehmen. Dies ist kein Einzelfall, und ich finde es einfach nur dumm! Ich habe selbst einige Freunde, denen es so ergangen ist. Es ist der Ausdruck dessen, dass die Deutschen immer noch denken, sie hätten die Wahrheit gepachtet und die Weisheit mit Löffeln gefressen. Es fehlt das Vertrauen in die Menschen, Respekt anderen gegenüber. ELLEN KAKO, Kiel
Verursacher sollten Lasten tragen
■ betr.: „Griechen, was nun?“, taz vom 5. 5. 10
Die ständigen sich selbst widersprechenden Aussagen der Politiker und Banker sollen dem Normalbürger verhüllen, dass seit Jahren Schulden gemacht werden (müssen), weil man verschuldet ist. Mit den Rettungspaketen werden Verluste ausgeglichen und Zinsgewinne derjenigen bezahlt, die die Dauerkrise durch Spekulationsgeschäfte, Leerverkäufe, Leben über die Verhältnisse usw. verursacht haben. Bei in die Höhe getriebenen Zinssätzen verdoppeln sich die Schulden und machen eine Tilgung unmöglich. Nach dem Verursacherprinzip sollten eigentlich die Banken, Konzerne etc. die Lasten tragen, Geld ist da wie Heu und vagabundiert zockend um den Globus rund um die Uhr. Aber es bleibt dabei, dass den kleinen Steuerzahlern und Konsumenten das Geld aus der Tasche gezogen wird, weil die da oben nur deswegen reich sind, weil wir da unten arm gehalten werden: Auf der Schaukel der Wirtschaftsordnung sitzen immer die wenigen Superreichen oben, weil unaufhörlich immer mehr Nichtprivilegierte nach unten abgedrängt werden und sich noch nicht einmal mittels ihres demokratischen Wahlrechts zu wehren wissen. NORBERT F. SCHAAF, Koblenz