LESERINNENBRIEFE :
Untertunnelung der Demokratie?
■ betr.: „Tunnel unter dem Bosporus“, taz vom 29. 10. 13
… oder die Untertunnelung der Demokratie?
Zum Anlass der Eröffnungsfeier wird hier mit großer Anerkennung über die Untertunnelung des Bosporus berichtet. Sicher ist die Förderung des ÖPNV u. a. als ökologischer Beitrag zu begrüßen, jedoch sollte der größere Kontext dieses Projekts nicht vergessen werden. Es ist nur eines der Megaprojekte des autoritär-reaktionären Erdogan-Establishments, die auch größenwahnsinnige Projekte verfolgt wie den Bau eines gigantischen Kanals quer durch den europäischen Teil der Türkei, „um den Schiffsverkehr vom Bosporus fernzuhalten“. Mit derselben skrupellosen Geisteshaltung werden andererseits momentan für ein Straßenprojekt durch geschütztes Naturgebiet auf dem Campus des ODTÜ (Technische Universität) in Ankara Fakten geschaffen, noch bevor die rechtlichen Genehmigungsverfahren und die Anfechtungen dagegen zu Ende geführt sind.
In großem Stil und mit Nacht-und-Nebel(Pfeffergas-)-Aktionen werden Bäume gerodet und Prostete gewaltsam bekämpft. Die Brisanz dabei ist, dass es sich um ein Gelände handelt, das vom Republikgründer Atatürk gestiftet wurde. Nicht nur symbolisch wird hier ein Kampf um die laizistische Demokratie geführt.
So ist auch die Wahl des Termins für die Eröffnung des Tunnelprojekts sehr symbolträchtig. Der 29. Oktober ist der Feiertag zur Ausrufung der demokratischen Republik und wurde seit Jahren mit großen staatlichen Feierlichkeiten gewürdigt. Nun veränderte das Establishment den Schwerpunkt ihrer Aufmerksamkeit und feierte unter Beteiligung von Geistlichen und mit Gebeten die Eröffnung ihrer Wege mit großem Pomp. Parallel dazu feierte die Opposition auf öffentlichen Plätzen weiterhin die Republikgründung und demonstrierte ihre Bekenntnis für die laizistische Demokratie.
OSMAN YONCAOVA, Freiburg
Erhellender Bericht
■ betr.: „Ein kriminalistisches Lehrstück“ von Gabriele Goettle,taz vom 28. 10. 13
Danke für diesen erhellenden Bericht, der vor Augen führt, wie die „Atomlobby“ die Gefahren und Auswirkungen von Radioaktivität verschleiert und negiert und dabei nicht zurückschreckt, aufklärende WissenschaftlerInnen mundtot zu machen. Immer wieder wurde und wird der Bevölkerung versichert, dass von Niedrigstrahlung keinerlei Gefahr ausgehe, aber, wie die Arbeiten von Frau Dr. Schmitz-Feuerhake und der vorangestellte Satz von John W. Gofman klarmachen: „Es gibt keine sichere Dosis“.
HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel
Leben in einer seltsamen Welt
■ betr.: „Ein kriminalistisches Lehrstück“ von Gabriele Goettle,taz vom 28. 10. 13
Vielen herzlichen Dank für diesen ewig langen Artikel über die Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake! Das nenne ich Hintergrundinformationen! Habe schon lange nicht mehr so etwas Interessantes gelesen, meine Hochachtung an diese Frau!
Dass Wissenschaft manipuliert wird, je nachdem, woran was man glauben will, war mir ja schon länger klar, aber dass es diese Ausmaße annehmen kann, hat mich doch geschockt! Wir leben in einer seltsamen Welt, in der alles unterdrückt wird, was die Wahrheit sucht.
Vielen Dank für den Mut und das Weiterforschen an Frau Inge Schmitz-Feuerhake!
CLAUDIA MUCHA, Wolfsburg
Die Opferfamilien brauchen Hilfe
■ betr.: „Bonner Gericht prüft Kampfjet-Videos“, taz vom 31. 10. 13
Der damalige Oberst Klein muss wohl Angst gehabt haben, sonst hätte er womöglich nicht nur auf diesen einen Informanten, sondern sogar mal in diesem Fall auf die Amerikaner gehört. Und Angst ist auch hier ein schlechter Ratgeber.
Wie lange vor dem Verlust der Tankfahrzeuge befand der Oberst sich schon in Afghanistan? War er jemals unter den normalen Menschen in den Dörfern? Hat er den krassen Mangel der Menschen an Brenn-, Koch- und Heizmaterial direkt wahrgenommen – in seiner Festung, in der alles an Versorgung aufgefahren wird, was die Soldaten so bei uns normal erwarten und bekommen? Kaum! Denn sonst hätte er sehen und interpretieren können, was sich da draußen abspielte: Jeder rennt mit Topf, Kanne und Kanister dorthin, um Benzin abzuzapfen, möglicherweise auch weiter zu verhökern; das ist in Zentralasiens Not die normalste Reaktion einfacher Menschen. Richtig interpretieren kann ich nur, wenn ich die Verhältnisse kenne.
Wer in der Befehlskette hat denn diesen Oberst – und all die anderen – in Afghanistan eingesetzt? Wie viel interkulturelle Kompetenz musste Oberst Klein vor dem Einsatz zu Hause und dann dort vor seinem Einsatz erwerben? Und was sollte im Übrigen dieser Einsatz mit welcher Leitidee in einem Land, das vermutlich überhaupt nicht zentral verwaltet oder gar etwa demokratisch regiert werden kann, bewirken? Unsere Verteidigung am Hindukusch? Heute wissen wir, dass die Demokratie bei uns täglich neu erkämpft und gesichert werden muss, auch informationell, nicht am Hindukusch; das sind Nebenkriegsschauplätze für fremde Geschäfte. Daran ändert das Gericht auch nichts, aber die afghanischen Familien der Opfer brauchen Hilfe; eine Entschädigung kann das leider nicht wirklich sein. Es war die politische Entscheidung der Bundesregierung, sie war und ist verantwortlich für den dort angerichteten Schaden!
ERNST-FRIEDRICH HARMSEN, Berlin