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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Ereignisse aus dem Kontext gelöst

■ betr.: „Mangel an historischer Bildung“, taz vom 20. 9. 10

„Mangel an historischer Bildung“? Für so unbedarft sollte man die Protagonisten in der Debatte zur Rolle Polens für den Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht halten. H. Saenger und auch E. Steinbach sind des Lesens mächtig, Nachschlagewerke werden sie zu bedienen wissen. Auch setzen sie sich nicht dem Vorwurf aus, Falsches zu behaupten, das wäre mehr als plump. Vorzuwerfen ist ihnen nun aber, dass sie historische Ereignisse aus ihrem Kontext lösen und isoliert in die öffentliche Debatte tragen. Dies ist ein probates und gern genutztes Mittel in der Auseinandersetzung um die Deutung der Geschichte, in der Geschichtswissenschaft nicht ganz unbekannt, in der politischen Debatte immer wieder gern genutzt. Geschichtsverfälschung kann eben auch das Ergebnis gezielten Weglassens/Verschweigens von Fakten sein.

Im diskutierten Fall wird verschwiegen, dass die „Erledigung der Resttschechei“, im Oktober 1938 von Hitler militärisch in Auftrag gegeben, durch den Einmarsch deutscher Truppen in Prag und den Erlass zur Errichtung des Protektorats von Böhmen und Mähren am 16. März 1939 vollzogen wurde, dass Hitler am 21. März 1939 wiederholt den Polen Bedingungen für die Rückgabe Danzigs zukommen ließ und am 23. März 1939 der Einmarsch deutscher Truppen ins Memelgebiet erfolgte. In diesem Zusammenhang erschließt sich die am 23. März 1939 im Danziger Korridor erfolgte Teilmobilmachung Polens, das Zeuge wurde, wie ehrlich es Hitler mit seinen Beteuerungen anlässlich des Münchner Abkommens im September 1938 (Annexion des Sudetenlandes, Missachtung der Souveränität der Tschechoslowakei) meinte, er würde keine territorialen Forderungen mehr stellen. Am 31. März 1939 erfolgte die britisch-französische Garantieerklärung für Polen. Die Appeasement-Politik Großbritanniens gegenüber dem Deutschen Reich war damit für gescheitert erklärt.

Abschließend sei noch angemerkt, dass H. Saenger für seine Aussagen (veröffentlicht in der Pommerschen Zeitung) zwar historische Quellen bemüht haben will, Quelle und Darstellung scheint er aber gleichzusetzen. Erstere hat er wohl nicht herangezogen, Letztere wurde von ihm offenbar zur Quelle erklärt. Das wiederum ist ein Fehler, der vielleicht einen Mangel an historischer Bildung verrät. BRIGITTA DORSCHFELDT, Berlin

Probleme mit „dem“ Islam

■ betr.: „Die Gnade der frühen Geburt“, taz vom 21. 9. 10

Als Studentin der Islam- und Politikwissenschaft, die sich auch viel mit den diversen muslimischen Communitys in Deutschland beschäftigt hat, kann ich mich nur immer wieder wundern, wie blauäugig oder bewusst ignorant das bürgerlich-linke Lager in Bezug auf Probleme mit „dem“ Islam ist. Die richtige und wichtige Unterscheidung zwischen Kritik am Islam und Ablehnung von Muslimen beachtend, darf und muss man feststellen, dass bestimmte islamische Glaubenskonzepte humanistischen Werten unverhandelbar entgegenstehen, allen voran das Apostasieverbot und die Inakzeptanz von Atheismus. Die von Klingelschmitt kritisierte Selbstzensur finde auch ich immer wieder frappierend: Denken jene gutmenschelnden „Mahner“ wirklich, einer intoleranten Ideologie könne man durch Toleranz beikommen? Und wie weit soll Rücksichtnahme gehen? Das entrüstete Hinweisen auf verletzte religiöse Gefühle und die „Islamophobie“ im Westen ist dabei ein Totschlagargument. Zu Ende gedacht verbietet es nicht nur dringend notwendige Kritik am Islam und geschmack- und harmlose Satire. Ein konservativer Muslim fühlt sich auch durch ein knutschendes schwules Pärchen, durch eine junge Nachbarin, die dem vorehelichen Sex frönt, durch das Bekenntnis zum Atheismus und Säkularismus und Biertrinken in der Öffentlichkeit verletzt. Letztendlich geht es um die grundsätzliche Frage, was in unserer Gesellschaft mehr zählt: Die Meinungsfreiheit oder das Schützen religiöser Gefühle?

Gerade die kirchenkritische taz-Klientel sollte stutzig machen, dass sich der Papst und beispielsweise die Organizaton of Islamic Conference darin einig sind, dass man stärker gegen die „aggressive“ säkulare Gesellschaft und blasphemische Medienprodukte vorgehen sollte … G. S. , Heidelberg