LESERINNENBRIEFE :
Weltbild vom Sockel gestoßen
■ betr.: „Einer schuftet im Augiasstall“ von Gabriele Goettle, taz vom 31. 1. 11
Es gab in meinem Leben bisher selten den Augenblick, in dem mein bestehendes Weltbild dermaßen vom Sockel gestoßen wurde wie nach der Lektüre dieses Artikels. Er ist in seiner Dramatik vergleichbar mit der Aufarbeitung des 11. September oder der Finanzkrise. Ich weiß nicht, worüber ich stärker erschüttert war: über die perfide Dreistigkeit, mit der die Eliten sich systematisch über Jahrzehnte beim Volk (Rentenempfänger, Sozialversicherungspflichtige) bedienen, oder die Zweifel an der Gewaltenteilung in unserem Land. Das zu einem Zeitpunkt, wo jüngst mit Peter Müller ein weiterer Expolitiker zum Verfassungsrichter ernannt werden soll. Danke an die taz und ein langes Leben und weiter viel Durchhaltevermögen für Otto Teufel! AXEL URBAN, Hamburg
Bürger wie wir!
■ betr.: „Vier Roma-Kinder sterben im Feuer“, taz vom 8. 2. 11
Vor Kurzem wurde im Bundestag eine Gedenkrede zur Roma-Verfolgung durch die Nazis gehalten. Die Kanzlerin gefiel sich darin, das Thema Roma als wichtig zu erachten. Nun kam die Nachricht: In Rom vier Roma verbrannt! Es war eine kleinere Nachricht als zum Beispiel Berlusconis Spielchen!
Was nützen Reden und Gedenkfeiern, wenn nichts weiter passiert? Roma werden ausgegrenzt und obendrein sozial isoliert mit der Begründung, dass sie sich nicht anpassen! Polizei und Gerichte halten sich hier auch immer sehr zurück! Nicht nur in Ungarn und Frankreich. Dies ist scheinheilig und verlogen. Auch wenn der Tod in Italien stattfand, gibt es bei uns auch dringenden Handlungsbedarf. Nach deutschem und europäischem Recht sind Roma Bürger wie wir! MANFRED FRIEDAG, Nordhorn
Per se inklusiv
■ betr.: „Eine kindgemäße Schulpraxis“, Interview mit dem Präsidenten der Kultusministerkonferenz, B. Althusmann, taz vom 7. 2. 11
Der Untertitel, „… behinderte Kinder in die Regelschulen zu integrieren“ führt in die Irre, weil er sprachlich nicht ganz korrekt ist. Die Frage ist nicht, ob Kinder mit Behinderungen „integriert“ werden. Sie gehören von Geburt an oder durch ihren Wohnsitz sowieso dazu, sind also per se „inklusiv“. Sondern: „Warum werden sie durch selektierende Schulgesetze von der allgemeinen Schule systematisch ausgegrenzt und wie lange noch?“ Das Herausreißen aus dem sozialen Bezugsraum, in den ein Kind hineingeboren wird und lebt – dazu gehört Schule im Leben jedes Kindes ganz wesentlich –, ist eine tief greifende Menschenrechtsverletzung. Würdeverletzung! Vor allem dann, wenn Behinderung systematisch als Begründung dafür herangezogen wird. Für all jene, denen der gesunde (humanistische, zivilisatorische und ethische) Menschenverstand allein nicht reicht: vgl. GG, allg. Erklärung der MR in Verb. mit UN-Kinderrechtskonvention, seit 2009 auch UN-BRK. MAGDALENA FEDERLIN, Aichach
„Selbstverständliches Dabeisein“
■ betr.: „Eine kindgemäße Schulpraxis“, taz vom 7. 2. 11
Der von Herrn Althusmann vorgeschlagene Fünfpunkteplan versetzt mich in Erstaunen, wird hier doch zuerst „Barrierefreiheit“ genannt und auch das Erreichen von Abschlüssen. Inklusion sollte sich – richtig verstanden – zwar auch mit Alltagsdiskriminierung (Barrieren) befassen, jedoch geht der Plan von Herrn Althusmann an der eigentlichen Bestimmung bzw. Definition von Inklusion vorbei: Inklusion sollte als „selbstverständliches Dabeisein“ mehr beinhalten als das Erreichen eines Abschlusses. Die UN-Menschenrechtskonvention stellt nicht in Frage „wann gemeinsame Beschulung sinnvoll ist“, sondern sie setzt sie de facto per Gesetz voraus, als etwas Selbstverständliches. ANJA HARTZ-POLENZ, Peiting