LESERINNENBRIEFE :
Kirchliche Anmaßungen
■ betr.: „Teilerfolg für die Kirche“, taz vom 21. 11. 14
Muss die Reinigungskraft in der Kirche ein treues Gemeindemitglied sein? Muss der Arzt im katholischen Krankenhaus ein streng katholisches Leben führen? Gibt es einen katholischen Blinddarm? Die Kirche bewegt sich am Markt der insbesondere gesundheitlichen Dienstleistungen mit eigenen Unternehmen. Jeder Bürger kann diese Leistungen in Anspruch nehmen. Die Beschäftigten üben einen Beruf aus, welcher „fern der Verkündigung“ liegt, sich also nicht von der Tätigkeit in einem konfessionsfreien Unternehmen unterscheidet.
Dennoch kämpfen die Kirchen seit Jahrzehnten um Sonderrechte in ihren Unternehmen und verweigern gleichermaßen Tarifverträge wie auch die normalen bürgerlichen Freiheiten für ihre Beschäftigten. Gewiss sieht jedermann ein, dass ein Pfarrer ein beispielhaft religiös geprägtes Leben führen sollte. Dagegen erscheint es absurd, wenn das Gleiche von einem Arzt im katholischen Krankenhaus verlangt wird, sodass ihm anderenfalls die Kündigung droht. Das Bundesverfassungsgericht sollte über derartige Anmaßungen stehen. Wenn sich unser Grundgesetz immer noch so lesen lässt, sollte es doch bald entrümpelt werden. JÖRG NEUMANN, Berlin
Von der SPD belogen
■ betr.: „Weniger Kohle, mehr Geld“, taz vom 20. 12. 14
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) empfiehlt, einige Kohlekraftwerke in Deutschland abzuschalten. Einer von vielen Gründen: Deutschland hat im Oktober den höchsten Stromexportüberschuss der Geschichte erzielt. Und das nach dem Ausstieg aus der Atomenergie! Ist doch großartig, aber: Wie weit will Deutschland den Exportwahn eigentlich noch treiben? Nach HighTech- und Fleischprodukten beglücken wir das Ausland nun auch noch mit Strom.
Wenn das stimmt, dann werden wir doch von der SPD belogen: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sieht die Versorgungssicherheit bedroht, würde man auf die Braunkohle verzichten. Auch sein Parteichef „Sigmar Gabriel blockiert den schrittweisen Ausstieg aus der Kohlekraft, dabei hat er sie selbst mit beschlossen“, schreibt Campact. Ein Grund für mich, den Appell von Campact gleich zu unterschreiben. Für wie blöd werden wir eigentlich gehalten? DIETER STOMPE, Erfurt
Praktikum auf dem Bauernhof
■ betr.: „Essen ist ein Fall für Pisa“, taz vom 26. 11. 14
Die Helena-Studie zur Schülerverpflegung zeigt deutlich signifikante Ernährungsdefizite in der allgemeinen Schülerspeisung. Jörn Kabisch fordert daher zu Recht, Ernährungslehre im Lehrplan zu verankern. Die gibt es jedoch schon seit vielen Jahrzehnten – im Lehrplan der Waldorfschulen. In der 7. Klasse wird sie in Verbindung mit anderen Unterrichtsfächern systematisch aufgearbeitet, vorbereitet im Gartenbauunterricht der Sechstklässler, der weiter bis zur 8. Klasse führt, und dann folgt in der 9. Klasse ein individuelles Landwirtschaftspraktikum von vier Wochen auf dem Bauernhof, wo gesunde Lebensmittel erzeugt werden.
Das alles ist ein Spiel wie bei Hase und Igel: Die staatlichen Lehrpläne rennen den Moden, Marotten und Notwendigkeiten hinterher, im Waldorflehrplan wird ohne großes Getöse von den meisten Waldorflehrern Wesentliches für die Zukunft – und auch für die Gesundheit – der SchülerInnen vorbereitet und geleistet; dazu gibt es inzwischen aussagefähige Studien. Wünschenswert wäre ein regelmäßigerer Austausch der verantwortlichen Bildungsplaner in den Ländern mit den überall greifbaren Vertretern der Waldorfschulen dort.
ERNST-FRIEDRICH HARMSEN, Berlin
Die Liebe des Götz Werner
■ betr.: „Harter Schlag für Öko-Label“, „dm bestätigt Einführung von Bio-Eigenmarke“, taz vom 18. und 19. 11. 14
Nachdem das Scheitern des Götz Werner’schen deutsch-sozialen Großversuchs genannt BGE (bedingungsloses Grundeinkommen) abzusehen zu sein scheint, braucht es dann doch noch wenigstens die übliche, nach den uns allen bekannten marktwirtschaftlichen Mechanismen funktionierende Expansion – für noch mehr Menschen noch mehr Produkte im dm-Drogeriemarkt: „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“ unter Aufkündigung des einen Leitmotivs anthroposophischen Wirtschaftens, nämlich dasjenige der „Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben“ im Bezug auf Alnatura, deren Produkte jetzt durch die Eigenmarke ersetzt werden sollen.
Da erfüllt sich mal wieder auch in diesen sogenannten Reformkreisen ein Diktum des englischen Sozialphilosophen John Ruskin (1819–1900): „Es gibt kaum etwas in der Welt, das nicht irgendjemand etwas schlechter machen und/oder etwas billiger verkaufen könnte, und die Leute, die sich nur am Preis orientieren, sind dieses Menschen gerechte Beute.“ In Anbetracht der Früchte seiner Arbeit als Discounter (seit geraumer Zeit als Milliardär zugehörig zur Schar der hundertzehn reichsten Deutschen) – wie fühlen sich wohl seine KundInnen, wenn Herr Werner seinen Erfolg gar noch mit dem Begriff der Liebe verbrämt, nachzulesen in der sonntaz-Frage: „Muss man Arbeit lieben?“ vom 26./27. April 2014 – „Denn Liebe macht sehend für die Bedürfnisse der anderen. Liebe ist der Idealfall, […] besser ist Anteilnahme an den Bedürfnissen und Sorgen der Kundinnen und Kunden.“ Treffender, und kaum zynischer, kann man das Sumpfblütentum des Spätkapitalismus nicht zum Ausdruck bringen.
JOACHIM LOBEWEIN, Seehausen am Staffelsee