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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Gewaltfreie Anarchismen

■ betr.: „Gewaltfreier Widerstand gegen Assad“, „Der Revolution treu bleiben“ u. a., taz vom 31. 8. 11

Bei aller Achtung vor den Berichterstattern zu den Entscheidungen der „örtlichen Koordinationskomitees“ in Syrien habe ich den Eindruck, dass Ihnen die Überzeugungen und Haltungen von Menschen, die gewaltfrei Widerstand leisten, kaum vertraut sind. Ich führe drei Hintergründe dazu aus.

1. „Friedfertigkeit des Protests“ ist nur ein Ausdruck der umfassenderen Idee einer gewaltfreien Revolution. Weil Georg Baltissen in seinem Kommentar (S. 12) dies als einzige / wesentliche Haltung darstellt, sieht er nur die oberflächlichen, fast banalen (aber eben typisch für konventionell gewaltförmig denkende Menschen) Begründungen: Die Bevölkerung könne sich beim bewaffneten Kampf nur wenig beteiligen. Die Kurzschlüssigkeit ist in den Wörtern „derzeit“, „solange“ und „zum jetzigen Zeitpunkt“ ausgedrückt. Gewaltfreiheit ist immer der menschlichste Königsweg, denn auch wenn ein militärischer „Erfolg“ von Aufständischen irgendwann verzeichnet werden kann, sind die Interessen des Menschen nur teilweise erfüllt; solches ergibt sich aus der Analyse aller historischen Beispiele der gewaltförmigen Veränderungen von Gesellschaftssystemen (und am aktuellen Beispiel Libyen erleben wir das gerade.)

2. Die „moralische Überlegenheit“ ist ein Charakterzug, mit dem die Organisationen des syrischen Widerstands gegen eine Militarisierung (d. h. Gewalt mit Gegengewalt bekriegen) argumentieren. Wenn diese Meldung (S. 1) allein steht, so bleibt die für eine gewaltfreie Bewegung grundsätzliche Bedingung außen vor, dass Menschen jeweils nach ihren selbstbestimmten und den in ihren Bezugsgruppen konsensual entwickelten Kriterien handeln. Hieraus erst ergeben sich die mannigfaltigen Verhaltensformen des gewaltfreien Widerstands, die vom Pol Distanzierung vom Regime bis zum Pol Lebenseinsatz gegen die Mächtigen reichen können.

3. Die Rede von „Volkswiderstand“ verkürzt das Ziel einer gewaltfreien Revolution auf das, was Mächtige mit „Volk“ definieren, z. B. wenn Vertreter anderer Staaten die „Forderungen nach Demokratie und Freiheit“ in Syrien erwähnen (Bericht S. 2). Ergebnis einer fundamentalen Regierungskritik ist die Selbstorganisation der Menschen in überschaubaren gesellschaftlichen Kommunen, deren Mitglieder gewaltfrei ihre Interessen formulieren und solidarisch mit anderen Gesellschaftsgruppen durchsetzen. Die „Verachtung für das Leben“, wie sie Amnesty International in brutaler Form für syrische Gefängnisse feststellt, kann in unterschiedlichen Formen jedem Herrschaftshandeln nachgewiesen werden. Nicht zuletzt deshalb sind die Wege bedeutsam, die Menschen beschreiten, um ihr Leben sinnvoll zu gestalten. Der politiktheoretische Begriff dafür lautet gewaltfreie Anarchismen. GEORG FISCHER, Schwefflenz

Ein Happy End gab es nicht

■ betr. „Wie lacht man über Judenverfolgung“, taz vom 1. 9. 11

Ich habe den Film gesehen, ganz. Bei einer Open-Air-Veranstaltung mit maximal 100 Zuschauern in einer kleinen Stadt in Österreich. Da hat sich kein Zuschauer laut lachend auf die Schenkel geklopft. Jeder hat den schwarzen Humor registriert, aber das Lachen, weit entfernt von einem schenkelklopfenden Lauthalslachen, blieb den Zuschauern im Halse stecken ob der Tragik, die durchaus spürbar war. Ein Happy End gab es schon gar nicht. Immerhin starb der jüdische Vater und Galerist im KZ. Der Nazi-Protagonist wurde auf den Leim geführt, aber niemand lag sich in den Armen, schon gar nicht Juden und „ehemalige“ Nazis. Das gepflegte Ambiente und die gepflegten Dialoge haben geholfen, die Tragik erträglich und ansehnlich zu machen. Und die komischen Elemente hervorzuheben, ohne ins Lächerliche zu geraten. JUTTA GEILENKIRCHEN, Bonn