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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Im Gespräch auseinandersetzen

■ betr.: „Pegida-Pressekonferenz hat ein Nachspiel“, taz v. 21. 1. 15

Meinungsfreiheit ist ein ganz wichtiges Element der Demokratie. Aber sie reicht nicht, um Demokratie als Lebensform zu entwickeln und zu erhalten. Genauso wichtig ist es, dass wir bereit und fähig sind, anderen zuzuhören, also die Meinung anderer auch zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Diese wichtige demokratische Erkenntnis scheint immer wieder in Vergessenheit zu geraten, vor allem wenn man sich im Recht wähnt, wie jetzt in der Auseinandersetzung mit der Pegida-Bewegung. Viele bekennende Demokraten sprechen uns das Recht ab, uns mit dieser Bewegung im Gespräch auseinanderzusetzen. Das muss jeden verstören, der nicht nur der Theorie nach in der Demokratie die beste Form des Zusammenlebens sieht.

Die taz war bisher nicht dafür bekannt, gegen die demokratische Auseinandersetzung mit Andersdenkenden zu sein. Aber jetzt fordert sie, den Leiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung abzusetzen.

Richter hat sich immer wieder für einen Dialog zwischen Pegida und ihren Gegnern eingesetzt und dazu viele Diskussionsveranstaltungen organisiert. Jetzt hat er Pegida-Demonstranten, die sich allen Interviews verweigerten („Lügenpresse“) gedrängt, ihr Anliegen gegenüber der Öffentlichkeit darzulegen und so einen klärenden Dialog in Gang zu bringen. Als einer der wenigen ist er mit Pegida-Anhängern ins Gespräch gekommen. Wer in den Veranstaltungskalender der von ihm geleiteten Sächsischen Landeszentrale schaut, wird feststellen, dass dort das ganze Spektrum demokratischer Meinungsbildung zu Wort kommt. Ihm Einseitigkeit vorzuwerfen, lässt objektiven Journalismus vermissen.

Dass SPD, Linke und Grüne seine Einladung zu einer Diskussionsrunde diese Woche ausschlagen und „jeden Dialog mit Pegida ablehnen“ wollen, ist kein Anzeichen von demokratischer Diskurskultur. Es gibt keine friedliche Alternative zu Dialog.

GEORG LIND, Konstanz

Ungetrübt von Sachkenntnis

■ betr.: „Homophobie. Die Behandlung“, taz vom 16. 1. 15

Dieser reißerische Artikel, ungetrübt von jeder Sachkenntnis, hat mich (als Psychoanalytikerin) empört. Zunächst ärgert es mich, dass der „Psychologe“, der offenbar Psychoanalytiker ist, nicht klar und durchgehend als solcher bezeichnet wird. Die ziemlich umfangreichen, detaillierten und differenzierten Theorien der Psychoanalyse zur Homosexualität (von Freud über Klein bis Bion) werden nicht bedacht, sondern es werden, ausgehend von dem Erleben des Analysanden, dessen Verarbeitung und seine Vermutungen über die Absichten des Psychoanalytikers für dessen Realität genommen („weist vieles darauf hin, dass R. die Wahrheit sagt“) und als Beweis für die Homophobie des Therapeuten, und letztlich der Psychoanalyse, gewertet. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass der Therapeut seinen Patienten „umstricken“ wollte, denn eine derartige Anleitung wäre in der Psychoanalyse als Kunstfehler zu werten. So einfach ist es also nicht: Was, wenn der Analysand seine eigene Homophobie projiziert hat? Dass er seine Diagnose „narzisstische Persönlichkeitsstörung“ als diskriminierend und kränkend erlebt, ist bedauerlich, aber daran die Frage der „Deutungsmacht“ festmachen zu wollen, ist oberflächlich und kurzsichtig: Was, wenn die Psychoanalyse durch ihre Kategorisierungen bestimmte Persönlichkeitsmerkmale in Kurzform charakterisiert? Oder soll jeglicher Versuch solcher (wissenschaftlich, psychoanalytisch) fundierten Definitionen abgelehnt werden? Dass er Vermutungen formuliert über die psychodynamischen, gerade auch sexuellen Gründe für die Homosexualität seines Patienten, gehört wesentlich zur Psychoanalyse. Genauso könnte zur Psychodynamik eines heterosexuellen Patienten vermutet werden (falls es Anzeichen dafür gibt), dass heterosexuelle Partnerwahl aus Furcht vor homosexuellen Impulsen erfolgt sei.

Es wird an der Erzählung von Herrn R. nichts infrage gestellt. Er hat offensichtlich eine schlechte Erfahrung mit seiner Therapie gemacht. Das ist bedauerlich und lässt den Schluss zu, dass etwas Entscheidendes in seiner Therapie schiefgelaufen ist. Aber was? Dass der Therapeut bestreitet, seinen Patienten „umstricken“ zu wollen, ist Ausdruck seiner analytischen Haltung. Dass er dennoch von homophoben Tendenzen beeinflusst sein kann, die er agiert, statt sie zu analysieren, ist natürlich möglich und wäre bedauerlich. Aber einen derartigen Behandlungsfehler zu generalisieren und gegen die Psychoanalyse (die gemeint ist, wenn von den „Psychologen“ die Rede ist) zu wenden, zeugt von mangelnder Sachkenntnis und Reflexion.

URSULA ENGEL, Psychoanalytikerin, Berlin