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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE Empörung über Medienreaktionen

FLUGZEUGKATASTROPHE Wir fühlen lokal, sagt unsere Autorin. Nähe sei ein wichtiges journalistisches Kriterium, sagt ein anderer. taz-LeserInnen diskutieren und widersprechen: Wer ist überhaupt „wir“?

Regionale Nähe

■ betr.: „Warum uns dieses Unglück nahegeht“, taz.de vom 24. 3. 15

Ich denke nicht, dass es einen Mechanismus für Empathie gibt – zumal einen einfach erklärbaren und für alle gültigen. Mir gehen die NäherInnen in Bangladesch, die ich früher unbedacht mit meinen Einkäufen bei H & M beauftragt und ausgebeutet habe, in der Tat näher als Lohnverhandlungen in Deutschland. Für mich gilt die Regel definitiv nicht (mehr), dass regionale Nähe per se meine Verbundenheit steigert. Vielmehr ist meine Perspektive auf wirtschaftliche Verflechtungen gerichtet. Andererseits ist es einfacher, seine Empathie zu leben, wenn man ein konkretes, auch physisch erlebbares Gegenüber hat. Daher halte ich alle Bestrebungen, regionale Verbundenheit zu fördern (wie zum Beispiel Regionalgeldinitiativen), für einen wichtigen Weg zu mehr Menschlichkeit in dieser Welt.

ALEXANDER KLAR, taz.de

Einfach falsch

■ betr.: „Warum uns dieses Unglück nahegeht“, taz.de vom 24. 3. 15

Nur weil Frau Kresta dies so empfindet, bedeutet das nicht, dass andere nicht völlig anders empfinden. Ich bin zum Beispiel der lebende Beweis, dass sowohl ihre Behauptungen als auch ihre Schlussfolgerungen keine allgemeine Gültigkeit haben: Mich hat dieser Flugzeugabsturz persönlich weniger emotional berührt als die Erschießung eines schwarzen Jugendlichen in den USA vor einigen Monaten. Wie erklären Sie sich das?

Übrigens hat mich auch der Einsturz eines Textilfabrik im (weit, weit entfernten!) Asien mehr schockiert und betroffen gemacht, als ein tödlicher Autounfall, der sich hier 100 Meter vor unserer Haustür ereignet hat. Zudem hab ich keinen einzigen Arbeiter in Asien jemals persönlich getroffen.

Na so was, passt alles nicht zu Ihrer Theorie. TAZZY, taz.de

Nicht zynisch

■ betr.: „Warum uns dieses Unglück nahegeht“, taz.de vom 24. 3. 15

Mitgefühl ist nicht zynisch. Dennoch ist die Frage erlaubt, warum uns das Unglück deutscher Passagiere und ihrer Angehörigen im Regelfall mehr trifft. Mit Nationalismus hat das wohl weniger zu tun als mit unserer Vorstellungskraft und der Macht der Bilder. Je mehr Bezugspunkte ich habe, desto größer ist das Mitgefühl und desto weniger kann ich mich von dem Leid der Betroffenen abgrenzen.

Die Missachtung und Ignoranz gegenüber der Verletzung ethischer Grundsätze in der Welt sind ein anderes, obgleich wichtiges Thema (das wir uns nahebringen sollten). Im Übrigen finde ich es richtig, den Betroffenen dort, wo sie sie erreicht, Anteilnahme (ungleich Selbstinszenierung) zu zeigen. Allerdings erreicht die mediale Verarbeitung in Form der Dauerschleife immer und verlässlich einen Grad der Perversion, der beschämend ist. Ist ja auch schön einfach in diesem Fall – wenig Bildmaterial, aber viel Aufmerksamkeit. EGALINE, taz.de

Verschwiegen

■ betr.: „Warum uns dieses Unglück nahegeht“, taz.de vom 24. 3. 15

„Es ist auch verlogen, dass uns die Interessen der Fabrikarbeiter in Bangladesch genauso beschäftigen wie die eigenen Lohnverhandlungen.“ Genau. Die einen werden überwiegend verschwiegen und die anderen überwiegend torpediert. Von der taz erfreulich weniger als von den meisten anderen Qualitätsmedien. WOLLFF, taz.de

Ich bin ratlos

■ betr.: „Warum uns dieses Unglück nahegeht“, taz.de vom 24. 3. 15

Wie jetzt? Von mir aus sind’s 80 Kilometer bis Tschechien. Wenn da Tschechen zu Tode gekommen wären, müsste es mir doch näher gehen als meinetwegen Schwaben, oder ist da doch was mit Volksgenossen?

Ich bin ratlos. Da war doch noch was mit einem schwarzen Jungen, der von einem weißen Polizisten erschossen wurde. Das ging mir auch ganz nahe, obwohl es ganz weit weg ist. Gut, er war Bewohner der westlichen zivilisierten Wohlstandswelt. Irgendwas haut auf alle Fälle an Ihrer Formel nicht hin! ANAMOLIE, taz.de

Ethik

■ betr.: „Das Gebrüll der Affen“, taz.de vom 25. 3. 15

Die Analyse zur Berichterstattung um den Flugzeugabsturz kann ich nur teilweise teilen. Erstens: Ja, es gibt das Bedürfnis nach Klatsch, nach Sensation. Aber verantwortungsvoller Journalismus muss dieses Bedürfnis nicht unüberlegt erfüllen – das ist eben der Unterschied zwischen Publikum oder Facebookern und JournalistInnen. Letztere sind einer Ethik verpflichtet und sollten nicht alles zeigen, was gezeigt werden kann oder gesehen werden will. Zweitens: Die Kritik an der Berichterstattung vor allem am ersten Tag trifft einfach schlechten Journalismus. Ich habe Beiträge gesehen, in denen sich Moderatorin und Reporter gegenseitig bestätigen, dass nichts zu sehen ist und keiner was weiß. Weniger wäre mehr und besser gewesen.

Drittens: Nähe – ja, vielen geht das Unglück nah, näher als andere. Aber das Unglück geht nicht allen nah, und diese Leute fühlen sich eventuell von einer Du-musst-trauern-und-betroffen-sein-Haltung bedrängt.

Ich fühle mich betroffener zum Beispiel durch das Attentat im Bardo-Museum in Tunis und von der Angst der TunesierInnen um ihre Freiheit und ihre wirtschaftliche Basis. STEFAN DIEFENBACH-TROMMER, Marburg

Purer Populismus

■ betr.: „Warum uns dieses Unglück nahegeht“, taz.de vom 24. 3. 15

Zeit meines Lebens frage ich mich, warum bei Unglücken stets die Zahl der betroffenen Deutschen genannt wird. Für mich war und ist es nicht nachvollziehbar. Man könnte auch, um die im Artikel angebrachte emotionale Bindung zu unterstreichen, die Zahl der Weißbier-, Alt-, Kölsch- und Pilstrinker unter den Opfern melden.

Und was soll der Quark von wegen Frau Merkel fährt (fliegt) direkt an die Unglücksstelle und andere Politiker natürlich auch? Helfen sie aktiv bei der Spurensicherung mit? Wie sieht es mit anderen Unglücken aus? Leisten unsere ach so betroffenen Politiker dann erste Hilfe? Alles purer Populismus. Nur wirklich denkunfähige Wähler geben Merkel und Konsorten hierfür Bonuspunkte. Das Theater, das hier veranstaltet wird, ist eine Farce. Die Opfer eines Unglücks werden für Schlagzeilen und politische Profilierung benutzt. ANTEATER, taz.de

Genervte Reporter

■ betr.: „Das Gebrüll der Affen“, taz.de vom 25. 3. 15

Ein Flugzeugabsturz mit 150 Toten ist schlimm und selbstverständlich Anlass zur Trauer. Übrigens unabhängig von der Zahl der Opfer mit deutscher Staatsangehörigkeit.

Schlimm ist, wenn Medien nahezu ganztägig kein anderes Thema mehr finden, auch nicht in ihren Nachrichtensendungen (obwohl die Welt ansonsten keineswegs stillsteht). Wo immer man einschaltet – man sieht nichts anderes als die x-te Wiederholung der Trauer vom Flughafen Düsseldorf oder Barcelona, vom Gymnasium in Haltern oder dem Firmensitz von Germanwings.

Die Betroffenheitsansprachen der Politiker, selbst wenn glaubwürdig, sind zwangsläufig stereotyp-pathetisch, die Reporter vor Ort von der Daueranforderung „neuer“ Informationen zu Recht genervt. BITBÄNDIGER, taz.de