LESERINNENBRIEFE :
Es ist nicht zu fassen
■ betr.: „Mein Hirntod ist mir egal“, taz vom 26. 3. 15
Ich habe mit Zustimmung den Kommentar von Ulrike Herrmann zur neuen Organspende-Studie gelesen. „Das Problem sind nicht frisierte Werte, sondern es werden zu wenige Organe gespendet“, so Herrmann. Es ist nicht zu fassen, dass bei uns in Deutschland nicht wie in Spanien per Gesetz die Spendenbereitschaft vorausgesetzt wird; und wer absolut nicht will, kann Widerspruch einlegen. Und erstaunlicherweise soll in Spanien kaum einer vom Widerspruch Gebrauch machen. Warum geht das bei uns nicht? Ich verstehe auch die Gegenargumente nicht. Ich sehe sie als Möglichkeit, sich aus der sozialen Verantwortung zu stehlen. Natürlich muss intensive Kontrolle stattfinden!
Vielleicht sollte man fordern, dass nur derjenige oder diejenige einen Anspruch auf eine Organspende hat, der/die immer bereit war, selbst ein Organ zu spenden. HELGARD WEIGERT, Wolfenbüttel
Viele dunkle Pfade denkbar
■ betr.: „Mein Hirntod ist mir egal“, taz vom 26. 3. 15
„Doch auch die beste Kontrolle wird nicht verhindern, dass Menschen sterben, nur weil Organe fehlen.“ Eine bizarre Sicht der Dinge, auch wenn Frau Herrmann sie mit anderen teilt!
Wenn ein Mensch stirbt, weil eines seiner Organe marode ist, dann stirbt er an Organversagen. Er stirbt nicht an fehlenden Organen! Wenn Sie die Haltung der Autorin konsequent zu Ende denken, kann man leicht zu dem Schluss kommen, dass Menschen sterben, weil nicht genügend andere Menschen tödlich verunglücken. Und von dort aus sind dann viele dunkle Pfade in die Abgründe menschlichen Tuns denkbar.
Im übrigen ist „hirntot“ nicht gleich „tot“. Organe von Toten sind unbrauchbar, und in der Schweiz ist Vollnarkose bei Organentnahmen üblich. Mit gutem Grund, weil die „Toten“ eben doch nicht so richtig tot sind. Auch „Organspende“ weist darauf hin, denn spenden können nur Lebende. JENS BÖHLING, Hitzacker
Grundsätzliches Problem
■ betr.: „Die linke Madonna“, taz vom 28. 3. 15
Zweifellos richtig ist: Peter Unfried hat ein Problem mit Linken. Zweifellos falsch hingegen ist, dass Linke ein Problem mit Klimaschutzpolitik haben. Gelegentlich hat sich die Partei die Linke unglaubwürdig gemacht, weil sie zwar durchgehend engagierte Klimapolitik fordert, aber das dann vor Ort, zum Beispiel in der Brandenburger Kohlepolitik, in der Regierung nicht durchsetzt. Aber das hat eher mit dem grundsätzlichen Problem des Verbiegens in der Realpolitik als mit Klima spezifisch zu tun. SILKE KARCHER, Berlin
Es geht um Glaubwürdigkeit
■ betr.: „Die offene Reparationsfrage“, taz vom 21. 3. 15
Man mag über Inhalt und Auftreten der neuen griechischen Regierung in der Finanzkrise fassungslos den Kopf schütteln. Dass sich die deutsche Öffentlichkeit nun intensiv mit der Frage der Reparationen und der Zwangsanleihe gegenüber Griechenland aus dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt, hat sich Deutschland selber zuzuschreiben. Verdrängte oder für erledigt erklärte Fragen kommen irgendwann wieder an die Oberfläche. Dabei ist das Thema nicht erst mit der Finanzkrise entstanden, auch wenn anderes behauptet wird. Vielmehr haben diverse griechische Regierungen seit den 60er Jahren auf eine Lösung gedrängt und wurden regelmäßig auf den künftigen Abschluss eines Friedensvertrags vertröstet. Bei den Verhandlungen zum Zwei-plus-vier-Vertrag – den man zwar bewusst nicht Friedensvertrag genannt hat, der aber dennoch eine abschließende Regelung darstellt – blieben jedoch potentielle Anspruchsteller wie Griechenland außen vor. Dort wurde vereinbart, künftige Reparationsforderungen auszuschließen. Da Griechenland nicht Vertragspartei war, entfaltet der Zwei-plus-vier-Vertrag als ein Vertrag zu Lasten Dritter für Griechenland keine Bindungswirkung. Das ist keine „juristische Konstruktion“, wie der Bundesfinanzminister behauptet, sondern ein Rechtsgrundsatz des Schuldrechts, der auch im Völkerrecht gilt. Griechenland hat in der Folgezeit auch nie einen Schuldverzicht erklärt. Vielmehr hat es in einer Verbalnote aus dem Jahre 1995 das Fortbestehen seiner Ansprüche bekräftigt. Auch das Argument eines etwaigen Erlöschens durch Zeitablauf überzeugt nicht. Deutschland hat selber noch im Jahre 2010 die letzte Rate seiner Schulden aus dem Ersten Weltkrieg beglichen. Da die juristischen Argumente der Bundesregierung also dünn sind, täte sie gut daran, sich einer politischen Lösung nicht zu verschließen. Diese sollte zumindest die Rückzahlung der Zwangsanleihe betreffen – eine Schuld, die das Deutsche Reich selbst anerkannt und mit deren Rückzahlung es begonnen hatte – sowie eine individuelle Entschädigung für die Opfer von Massakern und deren Nachkommen beinhalten, zum Beispiel durch eine Stiftung. Die Kosten wären überschaubar, und Deutschland könnte zu einer Entkrampfung des deutsch-griechischen Verhältnisses beitragen, das sich durch Äußerungen von beiden Seiten derzeit unterhalb des Boulevardniveaus befindet.
In einem Punkt hat der Bundesfinanzminister allerdings recht. Griechenland wird durch Reparationsgelder seine Probleme nicht in den Griff bekommen. Dazu bedarf es tiefgreifender Reformen in Staatswesen, Wirtschaft und Gesellschaft. Darum geht es aber auch gar nicht. Vielmehr geht es um die Glaubwürdigkeit Deutschlands. Wer einen Schuldenschnitt ablehnt und von anderen die Rückzahlung seiner Schulden verlangt, muss den gleichen Maßstab auch für sich gelten lassen. ANDREAS STRIEGNITZ, Brüssel