Kunstrundgang : Brigitte Werneburg schaut sich in den Galerien von Berlin um
Eine wunderbare Einrichtung: Die frei zugängliche Black Box in der Neuen Nationalgalerie. Ganz unkompliziert kann man sich dort seine Dosis Melancholie holen. Zurzeit mit Carlos Amorales’ 5’20 Minuten dauernden SW-Film „Minimal“ (2005). Dunkler, basslastiger Techno begleitet ein Rudel Wölfe, das aus längst gestorbenen Wäldern in modernistische Bauhaus-Ruinenstädte drängt. Es handelt sich um schlichte Zeichnungen, die – digital bearbeitet – allerdings großformatigen, dunklen Glamour erhalten; Pathos und aufmerksamkeitserregenden Schick. Was kein Argument gegen die genuine zeichnerische Qualität von „Minimal“ ist. Wenn die Reihe in ihrem Fortgang hält, was ihr Anfang verspricht, ist André Odier von den Freunden der Nationalgalerie als Kurator zu entdecken.
Eher unfreiwillig melancholisch stimmt „Makroskop“ im Museum für Fotografie: So viel technisches Know-how für so wenig Output. Zwar macht die Spirale, auf die Boris Hars-Tschachotin und Hannes Nehls ihre Schwarzfotos projizieren, eine schöne Figur im rußdunklen Raum. Doch sie will den Betrachter nicht als solche allein betören, sondern ihm dazu interaktiv, also computertechnisch most sophisticated, eine Geschichte erzählen. Von einem höchst interessanten Mann: Sergej Stepanowitsch Tschochotin (1883–1973), einem Pionier der Zellforschung und damit Wegbereiter der heuten Laser- wie Gentechnik. Ein politischer Aktivist, Demokrat und Sozialist, der sich gegen die Bolschewiki wie die Nazis stellte. Ein Nomade, den die Spirale in pompöser Manier verschluckt, anstatt ihn vorzustellen. Es übersetzt sich nicht, was die konventionelle Installation mit den Originalfotos und schriftlichen Dokumenten im Nebenraum leistet: Tschachotin im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zu zeigen.