Kulturkampf in Spanien: "Diese Kirche hat keine Zukunft"
In Spanien demonstrieren Bischöfe gegen die sozialistische Regierung. Ein durchsichtiger Versuch der katholischen Kirche, ihren Einfluss zu sichern, so der Theologe Juan José Tamayo.
taz: Herr Tamayo, in Spanien demonstrieren Bischöfe auf der Straße für den Schutz der Familie, gegen die Homoehe und für den Religionsunterricht. Und die sozialistische Regierung kritisiert die Kirche scharf. Gibt es eine Kulturkampf zwischen der Linken und der Kirche in Spanien?
Juan José Tamayo: So scheint es, aber nur auf den ersten Blick. Denn die Linke hat keineswegs eine kirchenfeindliche Politik gemacht. Dieser Eindruck ist entstanden, aber er ist falsch. Die sozialistische Regierung unter Zapatero hat in den letzten zwei Jahren die Kirche sogar mit Privilegien überschüttet. Die staatlichen Gelder für die Kirche wurden um 44 Millionen Euro aufgestockt, der Religionsunterricht wurde als Pflichtfach mit Benotung festgeschrieben, die Fristenregelung bei der Abtreibung wurde entgegen dem Regierungsprogramm nicht eingeführt. Das Gleiche gilt für die Sterbehilfe. Außerdem wurden die Beziehungen zum Vatikan ausgebaut.
Wieso dann die scharfe Kritik der Regierung an der Kirche? Und warum demonstrieren die Bischöfe, wenn sie schon erreicht haben, was sie wollen?
Das ist Rhetorik. In Wirklichkeit beugt sich die Regierung Zapatero vor der Kirche und wirft den Bischöfen alles hinterher, was sie verlangen. Die Regierung antwortet auf die Demonstrationen der Kirche mit rhetorischer Kritik, doch die Politik der Gefälligkeiten bleibt.
Und das Reden von der Trennung von Kirche und Staat?
Die Entwicklung läuft genau in die entgegengesetzte Richtung. Die Regierung hat nicht mal versucht, die 30 Jahre alten Verträge mit dem Vatikan zu reformieren.
Warum nicht?
Weil die Regierung Angst hat. Sie glaubt, dass die Bischöfe über Macht und großen gesellschaftlichen Einfluss verfügt und dass eine Politik gegen die Kirche Stimmen kosten könnte.
Aber warum gehen die Bischöfe dann auf die Straße?
Weil sie schlau sind. Die Bischöfe haben eine perfekte Strategie ausgearbeitet. Die Kirche verliert an Kraft. Immer weniger Gläubige gehen zum Gottesdienst, immer weniger Kinder besuchen die Katechese, immer weniger Eltern lassen ihre Kinder taufen, immer weniger Paare lassen sich trauen. Um diesen schwindenden Einfluss wett zu machen, suchen die Bischöfe ihren Platz außerhalb der Kirche. Sie rufen zu Großdemonstrationen auf, um so der Gesellschaft und der Regierung zu zeigen, dass die Kirche nicht in der Krise steckt.
Erreichen sie damit nicht genau das Gegenteil? Die Demonstrationen stehen für eine traditionelle, orthodoxe Kirche. Das schreckt doch viele Gläubige erst recht ab.
Das ist der Kirchenhierarchie egal. Sie macht sich weniger Sorgen über die Krise der Kirche als über deren schwindenden gesellschaftlichen und politischen Einfluss. Die Bischöfe wollen um jeden Preis den Eindruck von Macht aufrechterhalten. Wenn es deswegen nötig ist, das orthodoxe, unsympathische Gesicht zu zeigen, dann machen sie das eben. Sie wissen, dass die Regierung vor diesem Gesicht zurückschreckt und ihre Forderungen erfüllt. Unter Zapatero hat die Kirche mehr Fähigkeit bewiesen, sich politisch zu artikulieren, als je zuvor in der Demokratie.
Wie sieht die Zukunft dieser Kirche in einer offenen Gesellschaft aus?
Diese Kirche hat keine Zukunft. Sie trauert dem Gestern nach. Die Kirchenhierarchie versucht den Einfluss, den sie in der Vergangenheit hatte, zu retten. Sie gibt Antworten der Vergangenheit auf Fragen von heute. Diese Kirche gehört ins Museum - und dort wird sie auch enden, wenn sie so weitermacht. Ihre Anhängerschaft wird sich immer mehr auf eine kleine Gruppe von Nostalgikern beschränken.
Dann bräuchte die Regierung doch einfach nur abwarten, bis sich diese Kirche, die den Zeiten der Diktatur nachhängt, selbst ruiniert. Warum geht sie auf deren Forderungen ein?
Das ist eines der großen Probleme Spaniens. Seit dem Übergang zur Demokratie haben alle Parteien versucht, die Bischöfe gewogen zu stimmen und deren Forderungen zu erfüllen. Aus Angst, ein Streit mit der Kirche könnte katholische Wählerstimmen kosten.
Die Politiker haben also mehr Angst vor der Kirche als die Gesellschaft?
Ja, im Grunde hört die Politik mehr auf die Kirche als die Gesellschaft. Nur noch wenige Katholiken halten sich an die kirchliche Moral. Die Scheidung ist Sünde, dennoch kommt es zu zehntausenden von Scheidungen jährlich. Die Abtreibung ist Sünde, dennoch kommt es jährlich zu 100.000 Schwangerschaftsabbrüchen. Die wilde Ehe und der voreheliche Sex sind Sünde, dennoch lässt sich kaum jemand davon abschrecken. Die Politiker schenken den Parolen der Kirche mehr Beachtung als die Gläubigen.
INTERVIEW: REINER WANDLER
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