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Archiv-Artikel

Kritik der Woche Der Endreim als Waffe

Mit dem bajuwarischen Autoren Horst Tomayer verhält es sich so, dass ein Vierzeiler von ihm gegen die schwer bedeutsam daherkommende Gegenwartslyrik sich ausnimmt wie ein Humpen Weißbier gegen ein Gläschen Sekt. „Mensch / da staunste / und biste platt / wenn aus dem UFO steigt / der unbekannte Soldatt“, reimt Tomayer, und es steckt kein Falsch in diesen Zeilen. Es ist freundliche Krawallpoesie, hochartifizielle Metaphorik ist ihre Sache nicht.

Für seine in der Zeitschrift Konkret publizierte Kolumne „Ehrliches Tagebuch“ ersinnt der inzwischen in Hamburg lebende Dichter seit nunmehr zwanzig Jahren Endreim für Endreim. Ihre ganze Pracht und Herrlichkeit entfalten die mit Wortneuschöpfungen, Altertümeleien und verschriftlichtem Dialekt reich gespickten Texte allerdings erst im lautstarken Vortrag, nachzuhören auf dem jetzt erschienenen Lesungsmitschnitt „Interessieren Sie sich für Sexualität?“ Was da zu hören ist, ist nicht immer schön, dafür aber wahrhaftig und sehr komisch: „Beider vortragsgeübte Zungen / Umottern und -nattern sich / Denn nun ist auch sie geliefert / Aufgrund von des Hafers Stich.“ Das Gedicht verewigt die erste Liebesnacht von Hilmar Kopper und Brigitte Seebacher-Brandt. Und das, wo Literatur und Klassenkampf sich in Deutschland doch traditionell ausschließen. „Und es schreit die Kanzlerswitwe / Entschlossen enthemmt enteist / Wie am Spieß bei jedem Stoß den / Der Bänker ihr überweist“.

„Was in einem vorgeht, wenn man so was schreibt, das können Sie sich nicht vorstellen“, bemerkt der Dichter nach dem Vortrag erschöpft. Horst Tomayer rezitiert mit heiserer Stimme, als wolle er den Herrgott selbst dazu bewegen, dem infernalischen Weltenlauf Einhalt zu gebieten und sobald als möglich das Himmelreich auf Erden zu errichten. Nur wird der Herrgott wahrscheinlich wieder nicht hören wollen.

Dass aber wir in unseren schweren Stunden dem „35-Stunden-sind-genug-Lied der deutschen Rüstungsarbeiter“ oder der „Fahrraddiebhalsgerichtsordnung“ lauschen dürfen – das ist schon ein großes Glück. Oder, in den Worten des Dichters gesprochen: „Das Schicksal, für gewöhnlich eine Drecksau / Hier war es mal generös.“

Benjamin Moldenhauer

Horst Tomayer: „Interessieren Sie sich für Sexualität?“ live, Berlin: Edition Tiamat 2005