Koreanischer Schriftsteller über Spionage: "Ich möchte nicht ins Gefängnis"
Die Spannungen zwischen Nord- und Südkorea sind wieder groß. Der südkoreanische Schriftsteller Kim Young-ha im Gespräch über paranoide Gesellschaften und ihr Spitzelwesen.
taz: Herr Kim, warum haben Sie einen Roman ausgerechnet über einen nordkoreanischen Spion geschrieben?
Kim Young-ha: Ich wollte ursprünglich bloß über einen Mann schreiben, dessen Leben sich von einem Tag auf den anderen ändert. Und dann kam mir die Idee, dass das ein nordkoreanischer Spion sein könnte, der in Südkorea vergessen wurde. Seit Jahren hat er keine Befehle mehr bekommen, aber dann bekommt er plötzlich eine verschlüsselte Mail, die ihn zur Rückkehr auffordert. Es soll heutzutage ziemlich viele dieser vergessenen Spione in Südkorea geben, denn Nordkorea hat kein Geld mehr, sein aktuelles Spionagenetz zu pflegen.
Wie könnten nordkoreanische Spione überhaupt unauffällig nach Nordkorea zurückkehren?
Das ist sehr einfach: Man reist einfach nach China und überquert von dort aus die Grenze zu Nordkorea. Aber die vergessenen Spione haben ja den Auftrag, in Südkorea zu bleiben. Selbst wenn sie fünfzehn Jahre lang keine Anweisungen bekommen haben.
Sie haben mit Nordkoreanern gesprochen, bevor Sie Ihren Roman "Im Reich der Lichter" schrieben. Wohlgemerkt: nicht mit Spionen, sondern mit ganz normalen Flüchtlingen. Wie haben Sie die kennengelernt?
Zuerst dachte ich, ich käme gar nicht an die heran, obwohl bei uns ja offiziell über 20.000 nordkoreanische Flüchtlinge leben sollen. Weder ich noch meine Freunde kannten irgendeinen Nordkoreaner in Südkorea. Im Internet bin ich dann aber auf drei große Websites von nordkoreanischen Flüchtlingen gestoßen. Dort habe ich einfach gepostet, dass ich einen Flüchtling mit Uniabschluss suche. Denn ich wollte ja einen intelligenten Protagonisten für meinen Roman. Außerdem sollte er etwa in meinem Alter sein. Eine halbe Stunde später klingelte auch schon mein Telefon, und ein nordkoreanischer Flüchtling, der genau wie ich 1968 geboren wurde und der seinen Abschluss an der Filmhochschule von Pjöngjang gemacht hatte, rief mich an.
geb 1968, ist einer der bekanntesten Autoren Südkoreas. Weil sein Vater Soldat war, wuchs er an der Grenze zu Nordkorea auf. Zunächst schrieb Kim Young-ha Romane und Erzählungen, die kaum historische Bezüge aufwiesen. In den letzten Jahren aber hat er sich stärker der koreanischen Geschichte zugewandt.
Das war einfach perfekt! Noch am selben Tag trafen wir uns in einem Sushi-Lokal in der Nähe eines Wohnblocks, in dem nur nordkoreanische Flüchtlinge leben. Ich kannte solche Blocks bis dahin gar nicht. Wir haben Sushi gegessen, aber er wollte zunächst absolut keinen Alkohol trinken. Er traute mir nicht richtig. Erst dachte er, ich käme vom nordkoreanischen Geheimdienst, um ihn zu schnappen. Dann dachte er, ich käme vom südkoreanischen Geheimdienst, um ihn abzuchecken. Ich habe ihm dann meine Bücher gezeigt, auf denen ja auch ein Foto von mir abgedruckt ist, und dann hat er sich langsam entspannt. Später habe ich mich auch noch viel mit Choi Jin I unterhalten, einer aus Nordkorea geflohenen Autorin.
Wie haben diese beiden Gesprächspartner später auf Ihren Roman reagiert, als dieser veröffentlicht worden war?
Choi Jin I habe ich später wiedergesehen, doch den Filmemacher nicht. Er wollte anonym bleiben und hat mir keine Telefonnummer hinterlassen. Er war sehr vorsichtig. Aber Choi Jin I hat mein Buch gelobt. Sie sagte, dass ich das Leben in Nordkorea - durch die Erinnerungen meiner Hauptfigur Kim Giyeong - sehr genau erfasst habe. Das ging natürlich nur, weil mir meine Gesprächspartner vorher so viel erzählt hatten. Ich selbst war ja noch nie in Nordkorea.
Haben Sie kein Interesse, einmal nach Nordkorea zu reisen?
Als ich gerade an diesem Roman arbeitete, wurde ich mit einer großen Gruppe südkoreanischer Autoren zusammen nach Nordkorea eingeladen. Ich habe aber in letzter Minute abgesagt, um meinen Roman nicht mit Informationen zu überfrachten. Das war 2005. Heutzutage würde ich sehr gern einmal nach Nordkorea reisen, aber der Nordkoreanische Schriftstellerverband würde mich wahrscheinlich nicht noch einmal einladen. Seit 2006 wurden keine südkoreanischen Autoren mehr eingeladen, zumindest nicht offiziell. Seit Lee Myung-bak unser Präsident ist, gibt es ziemlich viele politische Spannungen zwischen Nord- und Südkorea.
Sie würden also nicht illegal nach Nordkorea einreisen, wie es ihr berühmter Kollege Hwang Sok-yong 1989 getan hat - der dafür anschließend mit vier Jahren Exil und fünf Jahren Gefängnis in Südkorea bezahlen musste?
Nein, ich möchte auf keinen Fall wie Hwang Sok-yong ins Gefängnis wandern. Ich bin nicht so ein draufgängerischer Typ wie er. Ich weiß auch nicht, was mich in Nordkorea erwarten würde: Das Land soll ziemlich instabil geworden sein. Ich habe von nordkoreanischen Flüchtlingen gehört, dass die Kommunistische Partei Pjöngjang zwar unter Kontrolle hat, aber dass es in ländlicheren Gebieten gelegentlich zu Schießereien zwischen Bauern und Soldaten kommt. Auch an der Grenze zu China herrscht Chaos. Nordkoreanische Soldaten lassen sich zum Beispiel von Schmugglern schmieren, die koreanische Antiquitäten und Kunstwerke und auch altes Porzellan nach China ausführen.
Ihr Roman "Im Reich der Lichter" fällt dadurch auf, dass er sehr unideologisch ist. Darin unterscheidet er sich von den Romanen älterer südkoreanischer Autoren, die den Koreakrieg noch miterlebt haben und oft gegen den Kommunismus anschrieben. Wollten Sie keine klare politische Position beziehen?
Jeder Roman antwortet ja auf die Romane, die vorher geschrieben wurden. Unsere älteren Autoren haben oft ideologische Charaktere geschaffen: Kommunisten oder Antikommunisten, Kapitalisten oder Antikapitalisten. Mein Kim Giyeong sollte ein neutraler Charakter sein, der in kein ideologisches Schema passt. Ich habe das auch so erlebt: Die nordkoreanischen Flüchtlinge in Seoul glauben an keins der beide Systeme mehr.
Gab es für Sie Grenzen beim Schreiben? Dinge, die Sie nicht hätten schreiben dürfen?
Nein, ich habe theoretisch alles schreiben können. In Südkorea gibt es diesbezüglich keine Zensur. Aber man kriegt sehr leicht einen Stempel aufgedrückt. Das ist das eigentliche Problem. Wenn ich Nordkorea kritisiere, meint man bei uns gleich, dass ich ein rechter, proamerikanischer Autor sei. Und wenn ich unser kapitalistisches, sehr konkurrenzbetontes System kritisiere, glauben alle, ich sei ein Linksradikaler. Bei uns werden solche Debatten immer sehr schnell sehr extrem. Da muss man ziemlich vorsichtig sein.
Ihre Bücher sind in Südkorea Bestseller. Hat sich auch "Im Reich der Lichter" gut verkauft?
Meine Bücher verkaufen sich alle ungefähr gleich gut. Auch "Im Reich der Lichter" war ein Erfolg, obwohl jüngere Leser in Südkorea eigentlich kaum Interesse an politischen Themen haben. Sie interessieren sich fast nur für ihr Privatleben. Ich finde aber, dass die koreanische Teilung unsere politische Realität ist, aus der wir auch nicht so einfach herauskommen.
Jüngere südkoreanische Autoren schreiben trotzdem selten über politische Themen, oder?
Das stimmt. Die meisten jüngeren Autoren versuchen, ihren Romanen einen "kosmopolitischen" Anstrich zu geben. Ihre Romane könnten in Korea oder in jedem anderen industrialisierten Land spielen. Ich selbst habe auch nicht nur politische Romane geschrieben. Aber ich habe mich immer schon sehr intensiv mit Geschichte auseinandergesetzt, vor allem mit der Geschichte von Kriegen. Mein Vater war Soldat und hatte Bücher über verschiedene Kriege. Die habe ich als Junge oft gelesen.
Ihr Vater war zeitweise an der Grenze zu Nordkorea stationiert. Sie sind dort auch aufgewachsen. Hat Sie das für Ihren Roman "Im Reich der Lichter" inspiriert?
Alle meine Bücher wurzeln irgendwie in meiner Kindheit. In den Roman "Im Reich der Lichter" sind meine Erfahrungen aus der demilitarisierten Zone (DMZ) besonders stark eingeflossen. Die DMZ ist eine vier Kilometer breite Grenze zwischen Nord- und Südkorea. Ich habe dort immer die Lieder und die Reden gehört, mit denen die Nordkoreaner unser Dorf beschallt haben. Aber wir Südkoreaner hatten auch Propagandalautsprecher aufgebaut. Es gab einen regelrechten Wettbewerb, wer die größten Lautsprecher hatte. Außerdem habe ich als Junge das nordkoreanische Fernsehprogramm gesehen, auch wenn das eigentlich verboten war. Ich habe damals viel darüber nachgedacht, was sich hinter der Grenze abspielt und was für Leute da leben. Manchmal wurden auch Leute festgenommen, die die Grenze überqueren wollten. Das war total gefährlich, denn die DMZ ist ein einziges Minenfeld. Manchmal hörte ich nachts eine Explosion, und am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass ein Reh auf eine Mine getreten war. Unsere Soldaten haben es dann abgeholt und gegrillt.
In Südkorea findet man an jeder Telefonzelle den Hinweis auf den Spionagenotruf 113. Unter dieser Nummer kann man bis heute Spione aus Nordkorea anzeigen. Haben Sie diese Nummer schon einmal gewählt?
Ich habe diese Nummer noch nie benutzt, aber ein paar meiner Freunde haben unter dieser Nummer früher ihren Onkel oder ihren Lehrer als Spion angezeigt. Das konnte natürlich sehr gefährlich für die Beschuldigten werden. Als Kindern hat man uns beigebracht, wie man einen Spion erkennen kann: Spione waren für uns zum Beispiel Leute, die zu nachtschlafender Zeit Radio hörten, die nachts in den Bergen wanderten oder die ausländische Währungen besaßen. Es konnten aber auch Leute sein, die zu Hause "Das Kapital" von Karl Marx stehen hatten. Unter der japanischen Kolonialherrschaft war es erlaubt, "Das Kapital" zu besitzen. Das gab es damals in japanischer Übersetzung. Aber später war es dann verboten. Das alles hat uns als Kinder ziemlich paranoid gemacht. Heute ist das nicht mehr so schlimm. Aber man bekommt immer noch eine hohe Belohnung, wenn eine Anzeige dazu führt, dass ein nordkoreanischer Spion gefasst wird, nämlich umgerechnet etwa 60.000 Euro. Und wenn man ein Spionageboot entdeckt, bekommt man fast 100.000 Euro.
Kim Young-ha: "Im Reich der Lichter". Aus dem Koreanischen von Kyong-Hae Flügel. Heyne Verlag, München 2008, 416 Seiten
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