Konzert Dr. John: Zeremonienmeister im violetten Anzug
Hitzige Lektionen im kalten Sommer: Dr. John, Medizinmann, Voodoo-Priester und das musikalische Gedächtnis von New Orleans, spielte in Berlin.
BERLIN taz | Nachdem der Hurrikan „Katrina“ New Orleans verwüstet hatte, reaktivierte Mac Rebennack alias Dr. John seine „Night Tripper“-Persona noch einmal.
Er war eben nie nur Sänger und Pianist, sondern immer auch Medizinmann und Voodoopriester, was sich in einem Stock mit kleinem Totenkopf als Knauf symbolisiert, den der Doc auch auf die Bühne schleppt. Die Popmusik muss heute nur noch sehr selten für spirituelle Eingebungen herhalten, aber New Orleans ist auch ein ganz spezieller Ort.
Im amerikanischen Süden pflegt man traditionell ein enges Verhältnis zu seinen Toten, der „Night Tripper“ musste sich als spiritueller Beistand also nicht zweimal bitten lassen, als das Schicksal New Orleans und seinen Bewohnern hart zusetzte. Mac Rebennack gilt nicht nur als musikalisches Gedächtnis von New Orleans, er ist vor allem oberster geistiger Würdenträger seiner Stadt. Voodoo-Priester und Big Chief in einem.
Dass Dr. John auch in der Musikgeschichte einen besonderen Platz einnimmt, davon konnte man sich am Donnerstag überzeugen, als er das Astra Kulturhaus, das sonst eher an eine Schulaula erinnert, mit höheren Weihen erfüllte. Im Geleit hatte der Doktor natürlich wieder seine Lower-911-Band.
Der Black-Keys-Gitarrist und Produzent Dan Auerbach hat dem Doc mit dem Album „Locked Down“ eine knarzige Frischzellenkur verpasst, und auch die HBO-Serie „Treme“ hat neues Interesse am New-Orleans-Sound geweckt, das trug dazu bei, dass an diesem Abend viele jüngere Gesichter im Publikum auszumachen waren. Die wurden zunächst aber enttäuscht, weil Dr. John nach dem Opener „Eleggua“, einer tief in die psychedelische New-Orleans-Tradition getunkten Swamp-Funk-Nummer, das neue Album weitgehend ignorierte.
Stattdessen wurde dem Publikum ein klassisches Louisiana-Gumbo aus Rhythm ’n’ Blues, Funk, Boogie und Jazz serviert, kubanische Einflüsse eingeschlossen. Die Lower 911-Rhythmusgruppe war dazu extra um Saxofon und Posaune verstärkt worden.
Dr. John verzichtete auf großen Hokuspokus, an seine frühe Voodoo-Musik erinnerten lediglich zwei Totenköpfe, die auffällig auf dem Flügel platziert waren. Trotzdem gab er in seinem eindrucksvoll violetten Anzug bravourös den Zeremonienmeister.
Eingeklemmt zwischen Orgel und Flügel quengelte und krähte des Doktors Predigerstimme wilde Beschwörungen in die Berliner Nacht. Einmal, es müsste zu „Let the Good Times Roll“ gewesen sein, wagte sich Dr. John sogar hinter seinen Instrumenten hervor, um die Leadgitarre zu übernehmen. Das Publikum quittierte den Auftritt mit frenetischem Jubel.
Fast zwei Stunden dauerte sein erstes Berliner Konzert seit Jahren, und es wurde zu einer lange überfälligen, hitzigen Lektion in New-Orleans-Musikgeschichte. Am Ende mussten auch die jüngeren Fans neidlos anerkennen, dass der alte Sack mit dem komischen Hut sein Pulver noch lange nicht verschossen hat.
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