Kommentar zu "Pro Reli": Ohne Ethik keine Zeit für Diskussion
Wenn die Wahl zwischen Ethik und Religion besteht, werden sich viele Schüler für Religion entscheiden. Damit aber wird die Verantwortung, die Kinder für das Weltgeschehen zu begeistern und Werte zu vermitteln, auf die Eltern zurückfallen, glaubt die Schülerin Carla Coburger.
Nur im Ethikunterricht können Schüler diskutieren und kritisch denken lernen, in anderen Fächern bleibt dafür keine Zeit. Mit der Einführung des Abiturs nach 12 Jahren wurde der Lehrplan überall gestrafft. Das Wort "Wertevermittlung" ist im Bildungssystem eine Seltenheit. Diese Lücke versucht das Fach Ethik seit drei Jahren zu schließen. In allen anderen Fächern wird auf die Frage von Schülern, ob man ein aktuelles Thema, etwa die Weltwirtschaftskrise oder den Gazakrieg, genauer besprechen könne, immer nur geantwortet: "Das gehört nicht in mein Fach!" Mit diesem Satz werden 99 Prozent der weltlich interessierten Schüler in Berlin abgespeist.
In Ethik werden dagegen genau diese Punkte von einem neutralen und nichtreligiösen Standpunkt aus betrachtet und diskutiert. Die Flexibilität dieses Fachs ist sehr weitreichend, da man moralische Grundsätze und Werte an fast allen aktuellen und geschichtlichen Ereignissen behandeln kann. Im Religionsunterricht wird alles durch die Brille einer Ideologie betrachtet.
Während meiner dreijährigen Teilnahme sowohl am evangelischen als auch am katholischen Religionsunterricht war Kritik am eigenen Glauben rar, wenn nicht gar nicht vorhanden. Genau damit aber, mit dem Kritisieren, sollten sich die Schüler mehr beschäftigen. In Anbetracht dessen ist das Pflichtfach Ethik nicht nur notwendig für die Integration von Migranten. Viel wichtiger ist es, das Interesse aller Schüler an den Konflikten der Welt zu wecken.
Wenn die Wahl zwischen Ethik und Religion besteht, werden sich viele Schüler für Religion entscheiden. Damit aber wird die Verantwortung, die Kinder für das Weltgeschehen zu begeistern und Werte zu vermitteln, auf die Eltern zurückfallen. Das aber heißt, dass in vielen Fällen gar nicht mehr diskutiert wird.
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