Kommentar deutsch-türkische Universität: Türkische Elite bisher völlig ignoriert
Bald können Kinder binationaler Eltern in der Türkei bei deutschen Professoren studieren. Künftige Eliten beider Länder können sich dadurch endlich austauschen.
S pät kommt sie, aber hoffentlich kommt sie jetzt auch wirklich. Mit der gestrigen Unterzeichnung einer Gründungserklärung für eine deutsch-türkische Universität in Istanbul zieht die Bundesrepublik nun auf einem Feld nach, das Franzosen und Amerikaner schon lange besetzt haben. Wenn denn tatsächlich aus der Absichtserklärung in den kommenden Jahren Realität werden sollte, kann endlich auch zwischen Deutschland und der Türkei ein Austausch der kommenden Eliten stattfinden, den die USA und Frankreich schon lange vormachen.
Jürgen Gottschlich ist Türkei-Korrespondent der taz und lebt in Istanbul.
Bisher ist es ja so, dass aus türkischer Sicht die Bundesrepublik vor allem ein Sehnsuchtsort des Proletariats und der verarmten Landbevölkerung ist. Wer im Ausland studieren will, geht entweder in die USA oder allenfalls noch nach Frankreich. Die Bildungselite am Bosporus sprach früher Französisch und heute Englisch. Bislang hat die Bundesrepublik wenig dafür getan, dass sich das ändert. Statt sich wie die anderen ausländischen Gymnasien um die "Ehemaligen" zu kümmern und so den Kontakt zu den kommenden Entscheidungsträgern zu halten, werden die Absolventen des deutschen Gymnasiums sträflich vernachlässigt. Und türkische Geschäftsleute, die nach Deutschland möchten, werden schikaniert, als ob sie einen Asylantrag stellen wollten.
Dass es für eine deutsch-türkische Universität überhaupt eine Chance gibt, liegt hauptsächlich an den türkischen Migranten in Deutschland, die sich entgegen allen Schwierigkeiten bis zur Hochschulreife durchgekämpft haben. Ihre Zahl wächst - trotz allen Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert wurden. Für sie und Kinder aus binationalen Elternhäusern ist eine deutsch-türkische Uni in Istanbul interessant, weil sie damit endlich einmal eine Lehranstalt finden könnten, die ihren Bedürfnissen entspricht. Dass eine wachsende Zahl deutscher Firmen in der Türkei ein starkes Interesse an den künftigen Absolventen einer solchen Uni haben wird, dürfte aber der ausschlaggebende Grund gewesen sein, das Projekt jetzt endlich anzufassen.
JÜRGEN GOTTSCHLICH
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