Kommentar Renterdebatte: Roman Herzogs neuester Hau
Herzogs Kampf der Generationen kommt ohne Empirie aus. Es gibt keine einheitliche Rentnerfront. Stattdessen wäre ein Blick auf den sinkenden Lebensstandard bei Rentnern fällig.
D er ehemalige Bundespräsident zeigt sich demonstrativ besorgt. Die Bundesrepublik befinde sich auf dem gefährlichen Weg zur "Rentner-Demokratie". Alle Parteien nähmen überproportional Rücksicht auf die Belange der Alten, sodass es "am Ende in die Richtung gehen könnte, dass die Älteren die Jüngeren ausplündern". Herzog teilte dies der Bild-Zeitung mit, die eine Kampagne gegen die Ansprüche der Rentner zu Lasten der jungen Generation führt. Orchestriert wird diese Kampagne vom ehemaligen Pressesprecher der Allianz-Versicherungsgruppe. Der Subtext liest sich so: Der Staat kann künftig Rentenerhöhungen nicht alimentieren. Also, Junge, die ihr morgen alt sein werdet, versichert euch gefälligst rechtzeitig privat!
Wie alle Politiker und Journalisten, die den Kampf der Generationen in der Rentenfrage beschwören, kommt auch Herzog ohne jede Empirie aus. Seine Warnung vor der den gesamten Parteienstaat beherrschenden Rentnerfront ist ein reines Wahngebilde. Die Rentner als ökonomische Pressure-Group sind schlechthin nicht existent. In einer Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung kommt Achim Goerres zu dem Ergebnis, dass die These von Rentnern als Ausbremsern einer möglichen weiteren "Reform" des Wohlfahrtsstaates keine Faktengrundlage hat. Wie es sich bei der Annahme einer konservativ-besitzstandswahrenden Grundhaltung der Rentner um einen Mythos handelt. Wenn überhaupt, dann spiegelten die politischen Haltungen der Alten die prägenden Einflüsse ihrer Jugend wieder. Bei der letzten Rentnergeneration war das die Adenauer-Zeit, bei der nächsten werden es die Zeiten der Studentenrevolte und der sozialliberalen Koalition sein. Kein Wunder, dass Roman Herzog angesichts dieser Perspektive statt in muntere "Hau ruck"- jetzt in die "Wehe"-Rufe der Kassandra ausbricht.
Um Roman Herzogs Altersbezüge brauchen wir uns nicht zu sorgen, wohl aber um den Lebensstandard der Rentner, die in den letzten Jahren eine empfindliche Kürzung ihrer Renten hinnehmen mussten. Statt der Rede vom Generationenkrieg wäre ein Blick auf die negative Einkommensentwicklung sowohl bei Rentnern als auch bei Lohnabhängigen angebracht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren