Kolumne Wortklauberei: Mit großer Mehrheit geliefert
Diese Kolumne ist sozusagen in alle Richtungen gültig.
D as zurückliegende Wochenende hat wieder einmal gezeigt, welche schmerzhaften Lektionen diese schnelllebige Zeit für Zauderer bereithält. Ich verstehe die Ereignisse vom Sonntag in Berlin als Mahnung an diejenigen unter uns, die sich tragen mit Gedanken über etwaig zu reißende Witze, denen Gags auf den Lippen liegen, doch dann schweigen sie - sie zögern, sie fassen sich nicht das Herz, diese Gags auch auszusprechen, niederzuschreiben, solange die Zeit dafür ist. Und dann - so schnell - ist es zu spät, und ein Witz, der eben noch vor knackiger Frische vibrierte, liegt schlaff da. Verbrannt, vom Heute überholt.
"F.D.P., fast drei Prozent" - nur ganze zwei Wochen konnte man sich an der Renaissance dieser schon in den 90ern einmal recht populären Wortspielerei erfreuen, und Hand aufs Herz: Haben Sie die Chance genutzt? Nun ist sie verstrichen, und wenngleich fast zwei Prozent für die FDP natürlich noch viel lustiger ist als fast drei Prozent - als Gag bringt einem "F.Z.P." wenig.
Aber was für eine Wohltat. Mal einen Abend lang entspannen vom täglichen Grausen der Weltnachrichten, sich zurücklehnen, den Herrgott einen guten Mann sein lassen und einfach mal genießen, wie sich Gerechtigkeit Bahn bricht und ein Haufen Schurken richtig Ärger bekommt - wie oft kriegt man das heute noch außerhalb von altmodischen Filmen?
In der "Berliner Runde" im ZDF sitzt dann Christian Lindner und sagt, dass sich schnelle Antworten jetzt verbieten. Hm. Aber versucht ist man hier auf der Couch doch … Ich probiers mal. Eine schnelle Antwort wäre zum Beispiel: "Gehen Sie weg." Was?
Später wird noch etwas auf meinem derzeitigen Lieblings-Idiotendenglizismus "liefern" herumgeritten, letztens ja prominent bemüht von Philipp Rösler. "Jetzt muss Herr Wowereit liefern", findet Claudia Roth, und Ulrich Deppendorf stellt fest, dass "die Lieferung" von Rösler als FDP-Parteichef aus drei hochkant verlorenen Wahlen besteht. Wuhahaha, es ist … herrlich.
Tags drauf gehts noch weiter mit dem Amüsemeng. Rösler gibt sich wieder "kämpferisch" (uuuh! Please Hammer, dont hurt em!) und wirkt dabei grad so, als habe man ihm in der Zwischenzeit endgültig Denkverbot erteilt: "Wir sind mit großer Mehrheit in diese Bundesregierung gewählt worden", sagt er. "Wir sind angetreten, um unser Land mitzugestalten und mitzuführen, und genau das werden wir auch in den nächsten zwei Jahren unumstößlich tun." Das ist auf so vielen Ebenen anmaßend, erbärmlich und fast anrührend, dass man gar nicht weiß, wo anfangen; aber es wäre doch zum Beispiel interessant, wie der Bundeswirtschaftsminister "Mehrheit" definiert. Mir fällt dazu ein Satz über diese Regierung ein, den ich einst mitnotierte: "Wer meint, durch ein einmaliges Votum am Wahlsonntag die Legitimation für vier Jahre menschenfeindliche Politik gewonnen zu haben, hat von moderner Demokratie nichts verstanden", sagte Jochen Stay von der Anti-Atom-Initiative ".ausgestrahlt" am 18. 9. 2010 bei einer Demo in Berlin - lustigerweise genau ein Jahr vor diesem Wahlsonntag. Darüber mal nachzudenken wäre auch nicht verboten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!