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Kolumne GeräuscheThe Birth of Uncool

Kolumne
von Arno Frank

Auf einem hippen Konzert, mit chilenischen Bergleuten unter Tage sowie in Socken und Sandalen bei Bryan Ferry.

I ch habe immer davon geträumt, keine Kinder zu haben. Denn mit Kindern, da kommt man ja zu nix mehr. Keine laute Musik, keine halsbrecherischen Moppedtouren, keine feuchtfröhlichen Orgien mehr mit Koks und Nutten. Aber wie es mit Träumen so ist, bin ich inzwischen sogar schon mit zwei kleinen Kindern gesegnet. Und alle Vorurteile, die ich als Kinderloser lange liebevoll gehegt habe, sind längst wirsch beiseite geschoben vom zärtlichen Bulldozer der Realität. Wenn man ab einem gewissen Alter "neue Leute" kennenlernen will, muss man sie sich wohl einfach selber machen.

Umso schöner war es kürzlich, mal wieder auf ein Konzert zu gehen. Eine hippe Band namens Of Montreal war das, die machte progressiv und doch sexy vor sich hinbrodelnden Funkspaß im hippen Admiralspalast. Es war nicht wirklich voll, und so konnte ich in aller Ruhe potenziell "neue Leute" betrachten. Den Kameraden beispielsweise, der während der Vorgruppe noch mit um die Hüften geschlungenem Pullover an einem Pfeiler lehnte, konzentriert Feuilleton las und ebenso gut einen Stempel auf der Stirn hätte tragen könnte: "ICH BIN JOURNALIST".

Ganz anders dagegen das verliebte Paar direkt vor mir, er doppelt so groß wie sie, beide tief in einen erschreckend ungelenken Tanz versunken, als würden Roboter rhythmische Sportgymnastik betreiben und zugleich versuchen, miteinander zu kopulieren. Einerseits hatte ich seit ungefähr 25 Jahren nichts Groteskeres, Uncooleres auf einem Konzert gesehen. Andererseits aber hatten diese beiden Clowns offenbar besser als all die reservierten Hipster begriffen, womit die Musik von Of Montreal nun mal bis in die Haarspitzen aufgeladen ist: Sex. Aber was weiß denn ich schon von Coolness?

Bild: taz

Arno Frank (36) ist taz-Redakteur. Er kann lesen und schreiben. In seiner Freizeit spielt er gerne Flipper, hört schlechte Musik, schaut sich gute Pornos an und erschlägt manchmal kleine Hunde.

Unlängst etwa durfte ich Bryan Ferry interviewen, die eleganteste Gestalt in der Geschichte der Popmusik. Um nicht vollends abzustinken, hatte ich sogar meinen alten Pierre-Cardin-Anzug in die Reinigung gegeben. Kurz vor dem Interview aber säbelte ich mir in der Küche den Nagel meines kleinen Zehs ab. Der blutige, angeschwollene Schlamassel passte nicht in anständige Schuhe, also musste ich Bryan Ferry in Sandalen gegenübertreten, unter denen ich kältehalber auch noch Socken trug. In der Hoffnung, dieses modische Kapitalverbechen vor den Augen des Style-Gottes verbergen zu können, stemmte ich das ganze Gespräch über meine Füße krampfhaft unter das viel zu niedrige Hotelzimmertischchen. That's how cool I really am.

Neulich aber ertappte ich mich dann doch noch bei einem halbwegs hippen, wahrscheinlich leider aber auch mal wieder menschenverachtenden Gedanken: Diese chilenischen Bergarbeiter da, dachte ich bei mir, sehen nach der Rettung und von aller Welt umjubelt mit ihren schicken Sonnenbrillen im Rampenlicht plötzlich alle aus wie Stevie Wonder oder Bono. Es sei ihnen gegönnt. Ehrlich gesagt aber fand ich sie früher viel cooler, als sie noch ehrlich unter der Erde, also echt underground waren.

Text: "If I treated someone else the way I treat myself / I'd be in jail" (Of Montreal)

Musik: Wenn der Säugling so Sachen sagt wie "agö" oder "gru".

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Inlandskorrespondent

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