Kolumne Geräusche: Kolumne in Moll
Thema verfehlt.
D er Kolumnist hat versäumt, seine Kolumne zu schreiben. Feilt er lieber an Haiku, aus Gründen der Empfindsamkeit? Unsinn. Und warum ist der Kolumnist dann saumselig? Er hat den Auftrag, sehr schnell einen sehr dummen, sehr langen Text zu schreiben. Wofür? Für Geld. Soll's geben. Und wie findet der Kolumnist das? Er grübelt noch, auf seinem Balkon. Unten eilt auf kurzen Beinen eine fremde graue Frau vorbei. Einerseits findet der das blöd. Andererseits findet er einfach den Supermarkt nicht mehr, in dem er sich mal für ein Haiku ein neues Abwassersieb für die Spüle hat kaufen können. Also machen.
Der Kolumnist schaltet in einen Schreibmodus, der aus zwei simplen Arbeitsschritten besteht. Er haut sich erstens den Magen mit so vielen und verschiedenen Informationen voll wie möglich, die er dann zweitens halb verdaut über die Seiten erbricht. Er // bricht //? Ja, erbricht. Der Kolumnist wünscht, er könnte dieses Lohnschreibgefühl anders ausdrücken. Wie denn? Irgendwie leutseliger: "Freunde, wir können halt nicht // immer // mit einem schottischen Whiskey in der einen und einem mutmaßlich marokkanischen Joint in der anderen Hand über pakistanische Teppiche torkeln und der schwedischen Sekretärin funkelnde Sentenzen diktieren, während draußen der Gondoliere im ruhigen Takt knarzenden Holzes rudernd sein traurig Lied singt." So in etwa? Lieber nicht. Es muss ja nicht alles ausgedrückt werden.
In letzter Sekunde fertig geworden, reist der Kolumnist an die Ostsee. Wie reist er? Aufatmend, wie aus einem fiebrigen Traum erwacht. Ein einsames rotes Haus über der Steilküste und Räusche. Welche Räusche? Das Rauschen der Brandung, das bisher wohl am längsten anhaltende Geräusch der Welt, älter als die Berge, und das Rauschen der Kiefern rundum, auch nicht mehr ganz taufrisch. Gottes viel besungenes, wenngleich wenig rezensiertes Ambient-Werk. Auch ein wenig einschläfernd, wie der Kolumnist bald einräumt. Wie bald? Nach zwei Tagen, mit Unbehagen. Was könnte dem Kolumnisten helfen? In der Küche ein CD-Spieler in pfiffig gemeinter Würfelform. Gibt aber keine Bässe wieder. Kennt der nicht. Stellt sich dumm. Dub klingt klirrend wie Haustürschlüssel, die sich in eine Waschmaschine verirrt haben. Teufels Beitrag zur Unterhaltungselektronik. Verdruss. Also raus. Spaziergang im Nieselregen, ein wenig Wärme suchen, am besten unter Menschen. Rückschlag schon in der Gastronomie: "Is noch nüsch warm!", "Bis dat fertig is, sin die kalt!" oder "Wenn Se freundlischerweise dit Schild beachten würn, da steht dat!". Wie fühlt sich der Kolumnist? Eingeschüchtert vom schroffen Stolz der Eingeborenen.
ist Autor der taz.
Wieder zu Hause, könnte der Kolumnist kolumnieren. Irgendeine wilde Meinung reiten, den Hut schwenken und "Yeehaw!" rufen. Gelingt ihm das? Nein, er wird nach wenigen Zeilen abgeworfen. Wie lange er noch Kolumnist ist?
Text: "Und wenn ich nicht mehr trinken kann / Weil Kehl und Seele voll / So tauml ich bis zu meiner Tür / Und schlafe wundervoll!" (Gustav Mahler, "Das Lied von der Erde")
Musik: das Wort "autochthon".
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