Kolumne Geräusche: Es darf keine Doris-Day-Verbote geben!
Die Gedanken sind frei, wer will sie erraten?
I ch weiß nicht, wer's war, aber irgendjemand muss in meinen Kopf einen Nachrichtenfilter eingebaut haben. Eines dieser tapferen Dinger, in denen sich nach dem herbstlichen Ablassen des Sprungbeckens im Freibad Haare und allerhand anderer Glibber finden lassen. Denn von allen Nachrichten, die mir in der vergangenen Woche widerstandslos so durch den Sinn rauschten, sind nur zwei wirklich hängen geblieben.
Erstens war das des Vizekanzlers Wortmeldung zu einer möglichen Insolvenz des griechischen Staates. Es dürfe, meinte der Rösler da, "keine Denkverbote" geben. Gut so. Ich beispielsweise denke schon lange, dass eine hungrige Ziege die zuvor mit Salz bestrichenen Fußsohlen des FDP-Chef ablecken sollte, während die Schwere seines Amtes langsam einen zuvor rektal eingeführten Pfahl durch seinen Leib treibt, bevor ihm am Ende, möglichst noch bei vollem Bewusstsein, die Haut abgezogen wird. Hat es nicht etwas Befreiendes, den Käfig des Geistes zu öffnen und die Gedanken wie fröhliche Schmetterlinge ausschwärmen zu sehe?
Die zweite Nachricht war nur eine kuriose Kurzmeldung aus dem Vereinigten Königreich, eigentlich nicht der Rede wert, brachte mich aber mental gefährlich ins Schlingern. Sie lautete im Original: "Im Alter von 87 Jahren und 62 Jahre nach ihrem Debüt als Musikerin stürmt Doris Day noch mal die Charts. Das neue Album mit bisher unveröffentlichten Stücken (,Que Sera, Sera') hat auf Anhieb den Sprung unter die Top Ten der britischen Album-Charts geschafft." Moment mal, Doris fuckin Day? Das ist, als würde Justin Bieber 2086 noch einmal durch die Hitparaden geistern. Dabei war die Meldung auch noch schlecht recherchiert. Ihren ersten Nummer-1-Hit in den USA hatte Doris Day schon 1945, in der Zeitrechnung des Pop also am Ende des Dreißigjährigen Krieges.
ist Autor der taz.
Zugleich nötigte mich dieser späte Erfolg, frühkindliche Prägungen zu hinterfragen. Okay, Doris Day gilt als Hollywoods Antwort auf Uschi Glas. Ihre Tugendhaftigkeit provozierte Groucho Marx zu dem Spruch: "Ich kannte Doris Day, bevor sie zur Jungfrau wurde". Sie war die fleischgewordene Spießigkeit mit blondiertem Haarhelm inklusive "Herrenwinker". Entschlossen ging sie ihren Weg, wenn auch immer in den Hafen der Ehe.
Und doch habe ich, an dieser Stelle seis gestanden, eine gewisse Schwäche für Doris Day und ihre viel-, ach was, allesversprechende Keuschheit in Technicolor. Eine diffuse Sehnsucht, seit ich als Neunjähriger an verregneten Sonntagnachmittagen Komödien wie "Bettgeflüster" oder "Ein Pyjama für zwei" sehen durfte. Da war ich abwechselnd James Stewart, Rock Hudson, Frank Sinatra, Kirk Douglas oder, äh, Ronald Reagan - und sie war immer Doris Day. Ach, ich hätte damals allzu gerne mit ihr im Bett geflüstert. Mit Pyjama? Ohne gar? Hm. Fragen wir doch einfach Philipp Rösler: "Um die Libido zu stabilisieren, darf es auch kurzfristig keine Denkverbote mehr geben".
Text: " Que sera, sera / Is that your new Ferrari car? / Nice but I think I'll wait for the F50" (Roger Waters, "Too Much Rope")
Musik: "My Heart" von Doris Day (Sony)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken