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Der Kommentar

Klimakrise vs. Populismus Kommt es zu „Volksaufständen“?

Skandalisierende Angstmache von rechts oder links befördert nur das Geschäftsmodell von Populisten. Jetzt muss die Stunde der Politik schlagen.

Foto: Christophe Gateau/picture alliance/dpa

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 16.08.22 | Steigende Energiepreise wegen der ausbleibenden Energielieferungen aus Russland, steigende Lebenshaltungskosten wegen der Inflation, immer höhere Mieten in den Ballungsräumen, die nicht auszuschließende Möglichkeit einer Rezession wegen des Stockens der Globalisierung, dem Wegbrechen der deutschen Exportchancen, der Störungen in den Lieferketten und dazu die unvermeidbaren Zumutungen aus der zwingenden Bewältigung der Klimakrise: Das lässt sich leicht zu einem Angst auslösenden Szenario zusammen schieben. Einige Medien heizen die Debatte über die sozialen und politischen Folgen einer möglichen Energiekrise im kommenden Winter auch schon schön in diese Richtung an.

„Wenn wir die Gasturbine nicht bekommen, dann bekommen wir kein Gas mehr, dann können wir überhaupt keine Unterstützung für die Ukraine mehr leisten, weil wir dann mit Volksaufständen beschäftigt sind.“

Außenministerin Baerbock im Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Keine Frage, rechte und linke Populisten werden das alles für ihre politische Mobilisierung nutzen. AfD, aber auch Teile der CDU und der FDP sprechen vom Politversagen linker und grüner Ideologen, verlangen ultimativ das Ende der Waffenlieferungen für die um ihre Selbstbestimmung kämpfende Ukraine. Sie fordern einen Frieden, der, was immer es kostet, den Bezug russischen Erdgases dauerhaft sichert. Sie streiten für die Genehmigung des Fracking von Erdgas, verlangen sogar den Neubau von Atomkraftwerken in der Republik. Sie setzen auf Steuersenkungen, weil sie daran glauben, dass nur entfesselte Marktkräfte, in keinem Fall aber der regulierende Staat Krisen von der aktuellen Dimension bewältigen können.

Die Linke und viele Sozialdemokraten entdecken derweil die ewig ungerechte kapitalistische Klassengesellschaft wieder. Sie ziehen, in ihrem antikapitalistischen Wissen bestätigt, in einen neu aufgelegten Kampf für Gerechtigkeit. Sie verlangen höhere Steuern für die Reichen und Entlastungen der Geringverdienenden, aber auch der Mittelschichten von den Kosten der großen Krisen. Aus ihrer Sicht sind die Krisen Verpflichtung und Gelegenheit, den Kapitalismus endlich zu überwinden.

„Nein, ich glaube nicht, dass es im Herbst zu Unruhen kommt.“

Bundeskanzler Scholz auf Nachfrage während seines Sommer-Auftritts vor der Bundespressekonferenz.

Beide Seiten treffen sich beim Demonstrieren. Hier behaupten sie unisono, die demokratisch legitimierte Regierung vertrete nur grün ideologisierte Interessen. Die Probleme der Bürger seien ihnen gleichgültig. Die Belastungen, die sie ihnen zumuten, seien ihr Instrument, Freiheiten einzuschränken oder die ungerechte Reichtumsverteilung abzusichern.

Aufstand – und was dann?

Und nun die 100 Billiarden Dollar-Frage: Angenommen, rechte oder linke Populisten würden einen Volksaufstand inszenieren, angenommen sie würden die Institutionen der demokratischen Herrschaft erobern, könnten sie dann billigeres Gas aus Russland beschaffen? Könnten sie in einem Jenseits aller Öko-Katastrophen die Klimakrise ignorieren? Könnten sie die Bundesrepublik aus den zu erwartenden Systemkriegen zwischen den freiheitlichen Demokratien des Westens und den autoritären Diktaturen des Ostens heraushalten?

Könnten sie nicht.

Um voran zu kommen, müssten sie zuerst die demokratischen Freiheiten aushebeln, müssten eine aggressive nationalistische Politik betreiben und müssten versuchen die mit Gewalt gleichgeschalteten Bürger mit ungedeckten Sozialschecks auf Kosten der jüngeren Generationen zu zynischer Loyalität zu bewegen.

Für ein solches politisches Programm rechter oder linker Populisten gibt es in der Bundesrepublik keine Mehrheiten. Die Annahme ist irreal, die regierenden Eliten würden sich auf den Straßen von den Feinden des Rechtsstaates einschüchtern lassen, auf den Einsatz der polizeilichen Machtmittel des staatlichen Gewaltmonopols gegen sie verzichten.

Den Demagogen beider Seiten kann darüber hinaus mit einer Politik Einhalt geboten werden, die sich von Versprechungen löst, dass die aktuellen Großkrisen ohne massive Einschränkungen der vom Wohlleben geprägten Lebens- und Konsumgewohnheiten in der Republik zu bewältigen wären.

Der russische Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen überdecken derzeit nur die Zentralaufgabe, das politische Heraussteuern aus dem fossilen Zeitalter in eine freiheitliche, ökologische Industriegesellschaft. Dieser nächste Schritt der Zivilisation ist ohne Einschränkungen für alle Bürger nicht zu haben. Es kann und wird keinen umfassenden sozial gerechten Übergang in die postfossile Demokratie geben.

Die Zukunft muss jetzt politisch gestaltet werden

Diese Tatsache muss aber nicht zu Volksaufständen führen. Anstatt finanziell wenig wirksame Trostpflaster zu verteilen, muss der Weg ins postfossile Zeitalter durch Gesetze und Verwaltungskunst unumkehrbar gestaltet und positiv besetzt kommuniziert werden.

Anstelle von Steuersenkungen braucht es Steuererhöhungen, mit denen der Umbau durch alle Steuerzahler sichergestellt werden kann. Es braucht aber auch Grundsicherungen, die die Willkür der freien Märkte in allen sozialen Dienstleistungen gesetzlich unterbinden. So ist, zum Beispiel, vorstellbar, dass für den Übergangszeitraum bis zur selbstbestimmten Energie-Sicherheit ein Kündigungsverbot für Mietwohnungen beim unverschuldeten Verzug der Mietzahlungen festgeschrieben und parallel dazu das Wohngeld für breitere Schichten geöffnet wird. Der öffentliche Nahverkehr könnte grundsätzlich kostenfrei organisiert, die Energiekosten für die Haushalte vorübergehend gedeckelt und ein Abstellen von Energielieferungen an private Haushalte verboten werden. Hartz IV mit Fordern und Fördern müsste beibehalten, seine Grundbeträge aber deutlich erhöht werden.

Eine solche Doppel-Strategie, die einerseits den Umbau ins nachfossile Zeitalter priorisiert, ihn mit der Wirtschaft und allen Bürgern kooperierend vorantreibt, andererseits die allergrößten Zumutungen für Familien und Kinder abmildert, den Umbau insgesamt, wie Kanzler Scholz das formuliert hat, als „Gemeinschaftsleistung“ organisiert und anführt, hat Chancen auf breite Zustimmung. Vizekanzler Robert Habeck und seine Grünen arbeiten erfolgreich mit diesem strategischen Ansatz. Sie gewinnen deshalb und dafür Woche für Woche an Führungskraft und Zustimmung. Orakelnde Warnungen vor Volksaufständen sind skandalisierende Angstmache. Sie befördern das reaktionäre Geschäft der Populisten. Auf den zentralen Aufgabenfeldern helfen sie nicht weiter.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.