piwik no script img

Kinder und Karriere vs. Sex und Rausch Sind wir erwachsen?

Auch superentspannte Twentysomethings wie Aron und Ruth gehen irgendwann auf die Dreißig zu – das Erwachsenseinmüssen droht. Ist das hedonistische Leben jetzt vorbei? Eine Folge der taz-FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Wir trinken und tanzen auf Partys, aber ist das schon erwachsen? privat

taz FUTURZWEI | Aron: Mein Handy klingelt, ich wache auf und denke daran, allmählich auf die Dreißig zuzugehen. Eigentlich macht man das ja immer, wenn man noch nicht dreißig ist, aber irgendwann kommt der Punkt, wo dieses Sprachbild sinnbildlich für den Eintritt ins Erwachsenenleben steht und man sich das alles vor Augen führt und dann entscheiden muss, was mit dieser Aussicht anzufangen ist.

Und bei mir ist es jetzt so weit. Das hat alles mit gestern Nacht zu tun.

Stimme meiner Generation

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 26, wird gefördert von der taz Panter Stiftung.

Er wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 28, ist taz Panter-Volontärin in der taz-Redaktion.

Sie wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und ist seit Oktober 2021 taz Panter Volontärin.

Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur

Mit Annahita Esmailzadeh, Arno Frank, Esra Küçük, Ricarda Lang, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Luisa Neubauer, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Claudia Roth, Ramin Seyed-Emami und Harald Welzer.

taz FUTURZWEI N°26 hier bestellen

Rückblick: Es ist Mittwochabend und ich bin mit Ruth zusammen auf einer Firmenfeier eingeladen und gerade dabei, zum ersten Mal (Spoiler: auch zum letzten Mal) so ein Wundermedikament zu probieren, das Freund:innen schon seit Jahren auf Partys nehmen.

„Das wirkt so wie zwei Bier“, hat mir einer von ihnen gesagt, und das klingt super, da die Feier schon seit Stunden im Gang ist und ich noch stocknüchtern bin. Kurz darauf im Taxi verstehe ich, dass mein Freund mit seinem Biervergleich nicht den Rausch, sondern das Runterkommen später meint. Viel weiter kann ich in diesem Moment gar nicht denken, denn eigentlich fühlt sich mein Körper plötzlich an, als wäre er komplett aus Gummi. All das schreibe ich Ruth, die am Empfang auf mich wartet.

„Es ist mega schön hier zu sein“, lalle ich.

„Aron, du redest mit deiner Hand!“entgegnet sie mir ziemlich unfreundlich. „Du setzt dich jetzt in ein Taxi und fährst sofort nach Hause!“

Trostbier und Zukunftsgedanken

Jetzt bin ich allein in meiner Wohnung, in Straßenkleidung, ein Trostbier neben dem Bett.

Aus jetziger Perspektive war das alles irgendwie lustig und eine Erfahrung, denke ich, stelle das Bier zu den Pfandflaschen in der Küche und zünde mir eine Zigarette an. Kaum versammelt sich der Rauch vorwurfsvoll in der Mitte des Raumes, fange ich an zu husten und öffne das Fenster. Draußen beendet die Klingel der Nachbarschule den Unterricht.

Wenn ich Kinder hätte und die mich gestern gesehen hätten, wie ich so durch die Tür gegurkt sein muss, dann wären sie jetzt vielleicht traumatisiert, denke ich weiter. Oder noch schlimmer, diese Erinnerung würde irgendwann in ihnen aufpoppen, wenn sie zwanzig sind und dann würden sie mich hassen, wenn sie einfach nicht wie alle anderen in ihrer Peergroup feiern gehen könnten, weil sie immer wieder das Bild ihres Wackelpuddingvaters einholt. Aber was ist mit den ganzen Partys, Clubs und Berlin-Neukölln im Allgemeinen? Geht dann alles nicht mehr.

Mann, seitdem ich heute Morgen in meine erwachsene Zukunft schaue, denke ich nur noch an Kinderkriegen und vor allem an Verzicht.

Ich sollte meine Perspektive wechseln, denke ich.

Viele Leute, die ich mag, sind schon erwachsen und super drauf. Ruth zum Beispiel! Und ich finde es eine gute Idee, ihr das mal zu sagen, schließlich ist sie zwei Jahre älter als ich und wird wirklich bald dreißig.

taz FUTURZWEI N°26

Die Welt muss wieder schön werden

Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.

Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur

Mit Annahita Esmailzadeh, Arno Frank, Esra Küçük, Ricarda Lang, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Luisa Neubauer, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Claudia Roth, Ramin Seyed-Emami und Harald Welzer.

taz FUTURZWEI N°26 hier bestellen

„Danke, dass du so erwachsen reagiert hast“

Ruth: Am nächsten Morgen – das Küchenradio behauptet, es sei schon Nachmittag – muss ich unter Kopfschmerzen an Aron denken. Was hatte der sich tags zuvor nur dabei gedacht? Verhält sich wie ein Teenager, der das erste Mal ohne Eltern in Berlin ist. Richtig feiern und Drogen nehmen können hätten wir ja auch nach dieser Firmenfeier.

„Lebst du noch?” schreibe ich.

„Ja”, bekomme ich wenige Minuten später eine Nachricht zurück. „Danke, dass du so erwachsen reagiert hast gestern.”

Erwachsen?

Das fühlt sich fast beleidigend an ... Was war daran erwachsen? Es war vielleicht vernünftig, es war ein Freundschaftsdienst. Aber erwachsen? Ist es schon soweit?

„Das bin ich nicht”, sage ich laut zu mir selbst, nicht ich, die ich um konventionellem Erwachsensein auszuweichen extra nach Berlin gegangen bin, extra einen Heiratsantrag abgelehnt habe und wenn ich an Kinder denke, die in wirklich sehr weiter Zukunft sehe. Das ist doch Erwachsensein: spießig werden, Kind, Karriere, kein weißes Pülverchen mehr, sondern Sushi-Abende mit Freunden und vielleicht irgendwann aufs Land ziehen. „Der Ernst des Lebens” eben.

Okay, es gibt so ein paar Erwachsenen-Dinge, die ich tun muss, wie Geld verdienen oder ab und zu Versicherungen abschließen. Aber sonst? Im Radio läuft jetzt Rainald Grebe. „Klaus, Beate, Uschi und Dirk/sitzen da in ihrem Szene-Bezirk./ Oh, dreißigjährige Pärchen” singt der und ich beruhige mich wieder, das bin ich ja definitiv nicht.

Früher hatte Erwachsensein noch mit Freiheit zu tun

Ich muss allerdings zugeben, dass erwachsen sein mal etwas war, was ich früher immer sein wollte. Es hatte was mit Freiheit, Volljährigkeit, Autofahren, Sex und Drogen zu tun und mit endlich tun können was man möchte, ohne dass die Eltern um die Ecke kommen und das letzte Wort haben. Wann ist Erwachsensein zu Spießigkeit mutiert? Vor allem: Was ist Erwachsensein überhaupt?

Vielleicht hat das Internet ja eine Antwort darauf – wer sonst? Erwachsene – lese ich bei Wikipedia – sollten „jene notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse erworben haben, die eine befähigen, die für das Leben und Fortkommen notwendigen Entscheidungen selbständig und eigenverantwortlich zu treffen”. Außerdem gehen mit dem Erwachsenwerden „Rechte und Verantwortung” einher und natürlich Reife und Geschlechtsreife.

Und: „Der moderne Erwachsene ist ein soziales Individuum, welches sich seiner Einsamkeit bewusst ist und diese durch seine Fähigkeit zur romantischen Liebe überwindet.” Wahrscheinlich bin ich dann wohl ein moderner Erwachsener, denke ich, als Arsen verschlafen in die Küche kommt, mich küsst und die Kaffeereste austrinkt.

„Ich glaube, als Kind hatte ich ein besseres und schöneres Bild vom Erwachsensein als heute”, sage ich zu ihm.

„Also, ich finde es super, dass wir heute machen können, was wir wollen”, sagt er und zündet sich eine Zigarette an.

Das stimmt. Vielleicht habe ich mir einfach irgendwann eine falsche Definition von Erwachsensein angeeignet. Aus Selbstbestimmtheit und Mündigkeit wurden Langeweile und Spießigkeit. Aber niemand hat gesagt, dass man werden muss, wie die dreißigjährigen Pärchen bei Grebe. Eigentlich hat niemand irgendwas gesagt, außer: Du bist jetzt volljährig, für dich selbst verantwortlich, hier ist die Welt, viel Erfolg. Und für sich selbst verantwortlich sein, heißt ja – selbst wenn wir uns manchmal unserer Einsamkeit bewusst sind – nicht unbedingt, auf sich alleine angewiesen zu sein. Deswegen schreibe ich Aron zurück: „Dafür sind Freunde doch da. Lust auf Club nachher?”

Und plötzlich fühle ich mich auf eine gute Art erwachsen.

Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.