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Katrin Seddig Zu verschenkenIn den Urlaub sollen ruhig die anderen fahren

Foto: privat

Es ist Juli und die Leute fahren in den Urlaub. Ich sitze auf meinem Sessel und denke darüber nach, warum ich nicht in den Urlaub fahre, seit Jahren schon nicht mehr, seit die Kinder erwachsen sind.

Ich fahre schon manchmal weg, immer für ein paar Tage, meine Mutter besuchen, mit Freundinnen in ihr Elternhaus, am Wochenende ins Häuschen meines Freundes, aber ich fahre anscheinend nicht mehr richtig in den Urlaub, es wundert mich selbst. Jedes Jahr, in dem ich nicht in den Urlaub fahre, wundere ich mich mehr und denke, nächstes Jahr wieder, aber dann ist nächstes Jahr und ich fahre wieder nicht in den Urlaub.

Im Grunde warte ich darauf, dass ich wieder in den Urlaub fahre, ich beobachte mich selbst interessiert, aber anscheinend fahre ich nicht. Wieder nicht.

Wenn ich darüber nachdenke, dann weiß ich schon nicht mehr, was das für mich sein soll, Urlaub. Es kommt mir abstrakt vor, blödsinnig, ich weiß nicht mehr, warum ich irgendwohin fahren soll.

Natürlich weiß ich, warum Leute das tun und früher habe ich das ja auch getan und durchaus etwas daran gefunden. Aber jetzt, wenn ich da in mich gehe, finde ich das nicht wieder, diese Motivation, die Vorfreude, den Drang und die Sehnsucht. Viele sagen, sie müssen mal raus. Und das ist natürlich auch abstrakt, aber durchaus zu verstehen. Ich habe dieses Rausmüssengefühl nicht. Ich sehne mich nicht danach, woanders zu sein. Ich habe keine Urlaubssehnsucht und kein Fernweh. Endlich Urlaub – Das denke ich einfach nicht. Aber warum nicht? Wo ist dieser Drang hin? Früher wollte ich etwas mit den Kindern machen, zusammen Zeit verbringen, gemeinsam wandern, etwas erkunden, Erlebnisse sammeln. Das hat geklappt, das war sehr schön. Als die Kinder aus dem Haus waren, war der Drang weg.

Die Entwicklungen in der Welt kommen mir so dramatisch vor, ich kann nicht irgendwohin fahren und alles vergessen, aber ich weiß nicht, ob das der Grund ist, oder ob ich mir da eine Erklärung suche. Jedem sei gegönnt, dass er sich erholt, auf welche Weise das für ihn passt. Wir haben ja alle nur das eine Leben zur Verfügung, um das zu tun, was uns Freude bereitet.

Aber das ist es eben, dass ich das nicht weiß, ob mir das Freude bereiten würde. Es kommt mir gut vor, hier zu sein, wo ich gerade bin. Es kostet mich keine Energie, es kostet niemanden Energie, und es ist ziemlich okay.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg

Hier, auf meinem Schreibsessel, in Hamburg, einer reichen Stadt in Mitteleuropa, gemäßigtes Klima, heute kühler, manchmal Regen, angenehme Temperaturen, der Wind bewegt die Gardine vor der offenen Fenstertür (französischer Balkon), draußen die Stadt mit ihren Stadtgeräuschen, albernes Lachen von Teenagern, S-Bahn-Geräusche, Gespräche von Vorbeieilenden, die Krähen krächzen auf den Bäumen. Wenn ich Lust habe, gehe ich runter und hole mir ein Stück Pizza, wenn ich Lust habe, gehe ich an die Elbe und sehe die Schiffe vorbeifahren, wenn ich Lust habe, gehe ich ins Kino oder verabrede mich mit einer Freundin, die gerade nicht im Urlaub ist. Wir sitzen müde draußen rum und sind entspannt, im Sommer in der Stadt.

Alle sind im Urlaub, außer wir – und all die anderen Millionen, die auch hier sind, die Busfahrer und die Obdachlosen, die Kellnerin, die unsere Drinks bringt.

Wir haben ja alle nur das eine Leben zur Verfügung, um das zu tun, was uns Freude bereitet

Und während ich darüber nachdenke, ob ich nicht traurig bin, weil ich gar nirgendwo hinfahre, kommt mir diese Traurigkeit einfach nicht unter. X bleibt diesen Sommer auch hier, erzählt mein Sohn. Aha, denke ich.

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