Karten aus Kasachstan : Eigener Zugang zur Demokratie
Die Krisenjahre sind vorbei: Die am Kaspischen Meer gelegene Stadt Aktau symbolisiert das neue und moderne Kasachstan
Man könnte Aktau, die Stadt am Kaspischen Meer in Westkasachstan, als eine faszinierende Aufrichtung des Städtischen innerhalb der unwirtlich weiten Steppe bezeichnen. Geht man heute durch die Anfang der Sechzigerjahre entstandenen Plattenbaurayons, ist der Traum sowjetischer Stadtplaner noch immer eigenartig präsent. Blumen blühen entlang exakt angelegter Prospekte. Das Meer rauscht im Hintergrund. Jugendliche bevölkern den Strand. Und an der Uferpromenade schieben junge Mütter Kinderwagen vor sich her.
Kein Zweifel, die Krisenjahre, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch die kaspische Region ereilten, sind vorbei. Aktau symbolisiert das neue Kasachstan, das Aufstiegskasachstan, die erfolgreiche, glänzende Modernität. Die Erdölindustrie boomt, ein neuer Hafen ist in Planung, und der Tourismus ist im Kommen. Was ausländische Investoren noch abschreckt, sind die dichten Verflechtungen von Wirtschaft und Politik: Ohne den Präsidenten Nursultan Nasarbajew lässt sich auch in Aktau kein lukrativer Wirtschaftsdeal abschließen. Er ist überall. Winkt von Straßenkreuzungen herab, lächelt an Häuserwänden inmitten einer Kinderschar und ist auch im Foyer des vor zwei Jahren eröffneten Jugendzentrums „Arman“ zu sehen – auf Fotos wie auf einer etwas besser gemachten Vereinspinnwand.
Hier, inmitten des Zentrums der regionalen Jugendpolitik, zeigen sich durchaus irritierende Koalitionen, die in einem Transitionsland wie Kasachstan selbstverständlich sind. Viel Geld ist in das Jugendzentrum geflossen. Es gibt einen Konzertsaal, der zweihundert Sitze umfasst, eine eigene Zeitung, einen Fernsehsender, einen Computerpool, diverse Clubräume. Regelmäßig treffen sich hier die Vertreter von „Wybor Molodych“, einer halbstaatlichen Jugendorganisation, und führen Seminare und Sitzungen durch. Erken Baldekow ist einer von ihnen. Ein Kasache, der geschliffen pragmatische Sätze sagen kann wie genau aufeinander abgestimmte Kommentare in einer Nachrichtensendung.
Eine Leitlinie sei der „kasachische Patriotismus“, sagt er. „Wybor Molodych“ solle die Jugend „im Geiste des kasachischen Patriotismus“ erziehen. Aber nicht um Hymnenwahn geht es, sondern was zähle, sei die Organisiertheit und die Kultivierung des Stolzes auf das eigene Land. „Wir wollen Jugendliche aktivieren und zur Teilnahme bewegen“, so Baldekow, etwa durch Programme wie „Landesheld“, eine großflächige Säuberungssaktion, bei der ökologische Verantwortung eingeübt werden soll.
Der „Wybor Molodych“-Flyer, den Baldekow verteilt, spricht eine ähnliche Sprache. Als Arbeitsschwerpunkte werden die „Vereinigung der Jugend“ und ihre Eingliederung „in das gesellschaftliche und politische Leben des Staates“ genannt. Dass die Organisaton „Wybor Molodych“ eng mit der Partei Asar zusammenarbeitet, deren Vorsitzende Präsidententochter Dariga Nasarbajewa ist, liegt da nicht fern.
Beinahe erstaunlich ist dann wieder die Kampagne für mehr Demokratie im letzten Jahr. „Jugend für faire Wahlen“ hieß sie, organisiert wurde sie gemeinsam mit einer US-amerikanischen Organisation. Die Kampagne sollte Studenten über ihr Stimmrecht aufklären und der weit verbreiteten Einflussnahme von Dekanen der Universitäten auf die Stimmenabgabe ein Ende bereiten. Eine erfolgreiche Aktion, sagt Baldekow – und schließt einen Satz an, den man oft hört in Kasachstan. Sein Land habe eben einen „ganz eigenen Zugang zur Demokratie“. Da scheint sie dann wieder auf, die ausgefeilte Verbindung von politischer Strategie und Jugendengagement.
MATTHIAS ECHTERHAGEN