: Kann man Stalin mit Stasi-Erfahrung aufarbeiten?
■ StudentInnenparlament der Humboldt-Universität hält an umstrittener Ringvorlesung fest / Die Mehrheit ist gegen Distanzierung, aber für Änderungen
Der Spiegel ist an allem schuld. Hätte die „system-konforme Zeitschrift“, so ein Flugblatt der PDS- nahen Hochschulgruppe Demokratischer StudentInnen (HDS), nicht einen „lügnerischen, denunziatorischen, unsachlichen und auf Desinformation zielenden Artikel“ veröffentlicht, wäre es womöglich gar nicht zu einer Kontroverse um die „Alternative Ringvorlesung“ des StudentInnenparlaments (StuPa) an der Humbold- Universität gekommen.
Im Juli hatte das StuPa auf Initiative der HDS eine offene Arbeitsgruppe mit der Vorbereitung der Vorlesungsreihe beauftragt, für die sich dann aber keinerlei Interessenten aus anderen Fraktionen fanden. Auch als das Programm im September vorlag, regte sich aus den Reihen der studentischen Vertreter noch kein Widerspruch. Das änderte sich freilich mit dem Spiegel-Artikel, als Uni- Präsidentin Marlis Dürkop bei der Eröffnung der Ringvorlesung ihr „Erschrecken“ kundtat.
Sie stieß sich zum einen an dem Vortragstitel „Stalin als Feldherr – Mythos und Realität“. Zwar räumte sie ein, dies sei „ein von mir möglicherweise falsch verstandener Versuch, sich der in der DDR fehlenden Aufarbeitung des Stalinismus zu stellen“. Ihre Toleranz finde aber zum anderen „dort ihr Ende, wo Sie einen Redner eingeladen haben, der nachweislich an politischen Relegationen beteiligt war“ – eine Anspielung auf den Historiker Kurt Pätzold, der neben früheren Stasi-Mitarbeitern zu den umstrittenen Rednern gehört.
Daß dies, wie die Veranstalter meinten, auf „alternative“ oder „emanzipatorische“ Weise zur „Aufarbeitung der Geschichte des Realsozialismus“ und zur „Auseinandersetzung mit den brennenden Problemen der Gegenwart“ beitragen könne, mochten nun auch einige Parlamentarier nicht mehr erkennen. Bea Hoffmann von der Liste „Studentische Vertretung“ (StuVe) bezeichnete es als „einen Mißgriff auf das Bild des StuPa“, wenn es ausgerechnet mit einer solch problematischen Ringvorlesung erstmals an die Öffentlichkeit trete.
An dem mit mehreren Trotzki- Zitaten versehenen Flugblatt, mit dem die HDS auf den Spiegel-Artikel reagiert hatte, störten sich allerdings auch zwei der Referenten, die Professoren Michael Brie und Dieter Klein: „Wir erklären deshalb, daß wir nicht bereit sind, an einer Ringvorlesung teilzunehmen, solange sich die Organisatoren nicht von derartigen wissenschaftsfeindlichen und inhumanen Positionen öffentlich distanzieren“. Das taten die Organisatoren wenigstens teilweise.
Der Akademische Senat gab sich damit nicht zufrieden. Zwar blitzte der Akademiker Klaus Lommatzsch mit seinem Vorstoß ab, die Ringvorlesung gleich ganz zu verbieten, doch stellte der Senat dem StuPa ein Ultimatum, in der nächsten Sitzung Änderungen am Konzept der Ringvorlesung zu präsentieren.
Die Studentischen SenatorInnen wollten sich daraufhin der Ringvorlesung entledigen, indem sie dem StuPa vorschlugen, sie nicht mehr unter dessen Namen, sondern nur noch als HDS-Veranstaltung weiterzuführen. Ganz so einfach mochte es sich jetzt das StudentInnenparlament dann doch nicht machen, es lehnte am Mittwoch den Vorschlag zu später Stunde mit knapper Mehrheit ab. Jetzt sollen die Kritiker zur Arbeitsgruppe stoßen und gemeinsam Änderungen vorschlagen. Ralph Bollmann
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