KURZKRITIK: BENNO SCHIRRMEISTER ÜBER FRÜHLINGS ERWACHEN : Planlos durch den Regen
Sicher erregt die vor 120 Jahren skandalöse Freizügigkeit von Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ heute niemanden mehr so recht. Was kein Schade ist: Die Möglichkeiten des Stücks nehmen durch den Verlust des Erregungs-Potenzials nicht ab.
So hat es, nahezu naturbelassen, vor fünf Jahren als Unterhaltungs-Musical am Broadway gut funktioniert. Auch bietet die historische Distanz Gelegenheit, seine inhaltlichen Konflikte, die seelischen Nöte zu sezieren. Und das Stück könnte… ach!, es könnte so vieles sein. Das muss auch Regisseur Frank Portmann gewusst haben, der diese „Kindertragödie“ fürs Moks am Schauspielhaus bearbeitet und inszeniert hat.
Bloß lässt er ihr keine Chance. Er traut weder ihren Geschichten, noch traut er sich, auf sie zu verzichten. Per Casting sorgt er dafür, dass die gut agierenden Profis aus dem Schauspiel-Ensemble neben den Laien-DarstellerInnen alt aussehen – deren darstellerischen Mängel aber drastisch hervortreten. Zwischendurch gibt’s Neues aus dem Sado-Maso-Chat, etwas Taubstummensprache, dann und wann routiniert choreografiertes Körper-Theater, einen Schuss Coming Out, es regnet wie im Original, und zum Schluss leuchten endlich doch noch die Kirmeslämpchen auf, die das Rang-Publikum schon für Sichtsperren gehalten hatte.
Nein, an Ideen hat es Portmann nicht gemangelt. Bloß einen Plan, wo er mit dem Stück hin will – den hat er offenkundig nicht gehabt. Oder, wenn doch, begraben – unter vermeidbaren Fehlern und einer Lawine unausgegorener Einfälle.